Düstere Kurzgeschichten
Sie brauchte zu lange und das wusste sie. Sue wusste nicht was sie tun sollte. Womöglich war sie noch nicht bereit dazu. Doch gerade als der Sklavenhändler von Paradise Falls persönlich eingreifen und mögliche Fehlentscheidungen vermeiden wollte fiel der Schuss. Und weder Sue noch ihr Vater hatten den Abzug betätigt.
Sue hatte die Situation zu spät erkannt. Sie spürte wie die Kugel sich in ihre Schulter bohrte. Sie war heiß und brannte in ihrem Fleisch. Instinktiv ließ sie ihre Waffe fallen und drückte mit ihren Händen die Schusswunde ab. Alles verging wie in Zeitlupe doch Sue wusste, dass das eine Illusion war. Dann folgte der zweite Schuss und traf sie am rechten Oberschenkel. Es wirkte, als wolle der Angreifer sie dazu zwingen in Deckung zu gehen, denn die ganze Zeit über war sie nicht wirklich geschützt. Noch während sie zu Boden fiel, sah sie wie der Blick ihres Vaters sich veränderte. Er war seltsam ruhig doch strahlte sein Blick eine unheimliche Aura aus. Sie befanden sich an einem warmen, trockenen Ort, doch Sue merkte, dass ihr plötzlich ganz kalt wurde. Sie wusste nicht, ob dass an ihrem Vater oder aber an dem Blutverlust lag. Das Gefühl der Angst und Hilflosigkeit machte sich in ihr breit - sie wollte nicht sterben. Ihr fehlte die Kraft sich zu bewegen, doch sollte es so sein, dass sie die gesamte Szenerie im Blick behalten konnte und so sah sie erstmals die Fähigkeiten ihres Vaters in Aktion. Er redete nicht über seinen "Beruf" und gar nicht über seine Fertigkeiten. Doch hatte sie ihn einmal heimlich beobachtet zu was er im Stande war. Seltsamerweise hatte sie davor Respekt und keine Angst. Doch sollte das was sie gleich zu sehen bekam, alles Bekannte in den Schatten stellen.
Blitzschnell eröffnete er das Feuer und erledigte zwei der anderthalb Duzend Angreifer - Sue konnte nur vermuten, doch sah sie viele Silhouetten im aufgewirbelten Wüstenstaub. Ihr Vater stellte das Feuer ein, warf etwas und rannte mit einer Geschwindigkeit zu seiner Tochter, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Plötzlich bebte die Erde und Sue wusste nicht, ob sie aufgrund ihrer schweren Verletzungen halluzinierte oder ob ihr Vater dafür verantwortlich war. Im Bruchteil einer Sekunde war er über sie gebeugt und redete mit ihr. Sie konnte nichts verstehen. Klassische Schocksituation. Doch je panischer Sue war, desto ruhiger war dieser geheimnisvolle Mann, der sich ihr Vater nannte. Als der nächste Schuss einschlug, wandte er sich wieder von ihr ab und erwiderte das Feuer. Sue konnte das alles nicht begreifen und noch weniger verstand sie wie er so ruhig bleiben konnte. Immerhin lag sie dort im Staub und war dem Tode geweiht. Jede Sekunde dauerte eine Ewigkeit, doch sie wusste, dass sie nicht mehr lange durchhalten würde. Als ihr Vater sich wieder zu ihr beugte, wusste sie, dass er weitere Angreifer ausgeschaltet hatte. Er holte eine gerollte Ledermappe heraus und ebenso einen Verband und eine Kompresse. Er rollte die Ledermappe auf und sie sah das medizinische Werkzeug. Das Skalpell machte ihr am meisten Angst, denn sie wusste was ihr Vater nun tun musste. Doch nahm er dieses nicht in die Hand. Sue konnte ihre Verfassung nicht einschätzen, jedoch maß sie an der Menge des Blutes, dass ihr Herz mit jedem weiteren Schlag aus ihrem Körper strömen ließ, dass es definitiv nicht harmlos war - auch wenn sie keinerlei Schmerzen verspürte. Doch sollte sie das überleben, wusste sie, dass diese anschließend ihren Tribut zollen würden. Sue wurde müde und hatte Mühe damit ihre Augen offen zu halten. Dann wurde alles schwarz. Plötzlich spürte sie die Hand an ihrer Wange und seltsamerweise schien es so als beruhige sie diese Geste. Doch als sie Sekunden später das Pochen an genau dieser Stelle spürte, wusste sie, dass ihr Vater ihr eine Ohrfeige gegeben hatte, damit sie wach blieb. Sie konnte ihn zwar hören, doch klang es als würde er ihr etwas aus großer Entfernung zurufen. Ihr Blick verkrampfte sich bei dem Versuch zu erhaschen was mit ihr vorging. Ihr Hosenbein war mittlerweile komplett Blutgetränkt aber die Schulterwunde mit einer Kompresse behandelt worden. Ihre Schulter fühlte sich nicht mehr an als würde sie ein Teil ihres Körpers sein - ein kaltes, totes Gefühl überkam sie. Sie musste sich ablenken und begann damit, die Lippen ihres Vaters zu lesen. Dass sie auf diese Idee nicht früher gekommen ist, lag wohl an dem Schock. Schließlich hatte sie das wohl beste Training im gesamten Ödland erhalten. Es war ihr erstes Feuergefecht und sie bekam direkt die Quittung dafür. Doch sollte dies nur ein Beitrag für Sue's weitere Ausbildung sein.
Seine Tochter war noch nicht so weit. Er merkte, dass ihre eigenen Gedanken sie überforderten. Es ging hierbei nicht um die Ziele in der Senke dort unten, sondern um den bevorstehenden Hinterhalt von dem er wusste, ihn allerdings bereitwillig einging. Dies war perfekt dafür erste Praxis in dieser Welt zu erhalten. Er würde nicht zulassen, dass sie sterben würde. Doch wäre er überrascht, wenn alles glatt ginge. Dann sah er, dass Sue die Augen aufriss und zu ihm blickte. Doch in diesem Moment fiel der erste Schuss. Als er sah, dass seine Tochter die Waffe fallen ließ, wusste er, dass sie getroffen worden war. Na los, Kleine! Geh in Deckung. Lass dich nicht ablenken!, sprach er mehr zu sich selbst. Sue reagierte nicht. Sie stand einfach dort. Apathisch. Ihre Augen starr. Der Schock hatte bereits eingesetzt und es war klar, dass der nächste Schuss wohl auch der letzte sein würde. Als hätte er es beschworen, fiel dieser auch schon und traf seine Tochter in den rechten Oberschenkel. Seine Tochter blickte ihn an als sie in den Staub fiel. Der Sand unter ihr färbte sich rot und er wusste, dass wohl eine Arterie getroffen wurde. Das ist sehr schlecht, doch war er auch hierauf vorbereitet. All die jahrelangen Mühen und Gräueltaten, um an die Dinge zu kommen, die für Viele in dieser Zeit nicht einmal mehr bekannt sind. Er musste sich beeilen, doch war er nach wie vor die Ruhe selbst. Lediglich sein Trieb erwachte wieder. Als er sah wie der Sand unter seiner Tochte gierig nach ihrem Blut verlangte, wusste er, dass die Angreifer nicht davon kommen würden. Binnen Sekunden hatte er angelegt und direkt zwei der Arschlöcher erschossen, die seiner Tochter eine lebensbedrohliche Situation beschert hatten. Noch bevor der Rest von ihnen begreifen würde was passiert war, zog er eine Splittergranate und warf sie mit einer Genauigkeit zu dem Rest der Angreifer, die schon fast unheimlich war. Dies verschaffte ihm einige Sekunden, um zu seiner Tochter sprinten zu können. Noch während die Granate sich ihrem Ziel näherte, sprintete er zu Sue. Er wusste, dass die Angreifer Deckung suchen würden, sobald sie diese fliegen sahen. Bei seiner Tochter angekommen, sah er direkt, dass sie nicht ganz so viel Blut verloren hatte wie gedacht. Der Schuss in die Schulter ging glatt durch. Plötzlich schlug der nächste Schuss ein. Es war ihm suspekt, dass die Angreifer sich so schnell gesammelt hatten und wandte sich mit seiner AR im Anschlag wieder dem Ursprung des Schusses zu. Auch hier beförderte sein Schuss den Angreifer ins Jenseits und er sah im Augenwinkel, dass er nicht mehr viel Zeit hatte, denn die Angreifer begannen damit sie in die Zange zu nehmen. Es war ihm nicht begreiflich mit wem er es hier zu tun hatte. Er wandte sich wieder seiner Tochter zu, zog sein Medizinmäppchen hervor und ebenso eine Kompresse und Bandage, damit die Blutung gestoppt werden konnte. Ihre Schulter desinfizierte er mit dem Alkohol aus seinem Flachmann und behandelte ihre Schulter. Dann sah er, dass seine Tochter langsam Probleme damit hatte, die Augen aufzuhalten. Er redete mit ihr, doch sie reagierte nicht. Das war sehr schlecht, doch Sorgen zeigten sich bei ihm erst, wenn es wirklich brenzlig wurde - dafür hatte er zu viel hinter sich; zu viel erlebt. Er ohrfeigte sie, obwohl er Gewalt ihr gegenüber verabscheute. Doch war es nicht aus reiner Willkür oder einer Sanktion wegen heraus. Sue würde das verstehen. Ihre Schulter war nun provisorisch versorgt, musste jedoch später genäht werden. Das Bein war aber eine andere Hausnummer. Der Menge an Blut nach zu urteilen, war ihre Beinarterie nicht verletzt worden, jedoch nach wie vor eine ernstzunehmende Verletzung.
Zu seiner Rechten hörte er ein Geräusch. Blitzschnell hatte er den Lauf in die Richtung des Geräusches gerichtet. Die Reaktion seines Gegenübers zeigte ihm, dass keine Gefahr aus dieser Richtung ausging, denn war es der Junge aus der Senke. Er winkte ihn zu sich und gab ihm damit zu verstehen, dass er seine Tochter schnappen und mitkommen solle. Doch das war eine dumme Idee, denn die Angreifer waren nach wie vor eine Bedrohnung. Der Sklavenhändler von Paradise Falls schüttelte ruhig den Kopf während er den Blickkontakt beibehielt. Der nächste Schuss fiel und er unterbrach diesen. Der Junge ging geduckt zu der Position, an welcher sich der Fremde und das kleine Mädchen befanden. Der Fremde bedeutete ihm, dass er mit seiner Faust auf die Beinwunde des Mädchens drücken sollte, um die Blutung zu stoppen. Der Junge leistete Folge, sichtlich eingeschüchtert von der Aura dieses Mannes. Eigentlich wollte er lediglich, dass sich die beiden zu ihnen in die Senke begaben. Doch diese Idee war auch nicht viel weiter gedacht als das. Denn was sollte dann geschehen? Sie würden sich wohl lediglich einen positionellen Nachteil verschaffen. Er blickte auf die Wunde und all das Blut. Das kleine Mädchen sah ihn an, reagierte jedoch nicht wirklich. Sie musste einiges durchmachen, dachte sich der Junge. Der Sklavenhändler von Paradise Falls musterte den Jungen noch einen Augenblick und war sich dann sicher, dass dieser nicht aus der Reihe tanzen würde. Nun konnte er den Tanz mit den Angreifern fortführen. Augenblicklich schaltete er die rechte Seite, also die Angreifer hinter dem Rücken des Jungen aus. Diese hatten zwar noch keine freie Sicht auf diese Position, doch hätte es nur noch einige kurze Augenblicke gedauert, bis dem so gewesen wäre. Somit waren drei Weitere seiner Expertise zum Opfer gefallen und der Versuch ihn und seine Tochter in die Zange zu nehmen war dahin. Die anderen Angreifer merkten, dass sie um dieselbe Anzahl dezimiert worden waren wie der Sklavenhändler von Paradise Falls Kugeln verschossen hatte. Das hinterließ wohl einen entsprechenden Eindruck in Bezug auf die eigenen Fähigkeiten. Und so begann die linke Seite der Zangenposition den Rückzug, doch sollte es nicht dazu kommen. Binnen Sekunden hatte er sich umgedreht und zwei weitere der Angreifer direkt ins Visier genommen, jedoch nur einen von beiden erschossen. Dem anderen Angreifer schoss er in beide Beine, um ihn an der Flucht zu hindern. Sollte er mit seiner Vermutung richtig liegen, müssten noch maximal 11 Angreifer übrig sein - vorausgesetzt seine Granate hatte keinen erwischt. Er blickt noch einmal kurz zurück zu dem Jungen, den er still beauftragt hatte, die Beinwunde seiner Tochter abzudrücken. Der Junge gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, dass alles in Ordnung war. Dieser hatte wohl großen Respekt vor dem Fremden und Angst einen Fehler zu machen, der dann mit seinem eigenen Ableben enden würde. Dann sah er nur noch, wie er zur nächsten Deckung huschte und aus seinem Blickfeld verschwand.
Der Sklavenhändler von Paradise Falls arbeitete sich schnell weiter nach vorne, um die Position des ursprünglichen Angriffs auszumachen. Als das Gefecht begann, waren die Angreifer gute 250 Meter entfernt. Sie hatten sich rasch vorangekämpft. Offensichtlich, da kaum Gegenwehr von ihm und seiner Tochter kam und anfangs nur wenige von ihnen durch seine AR über den Jordan befördert wurden. Dann sah er, dass seine Wurfkenntnisse nicht eingerostet waren, er jedoch nicht alle erwischt hatte. ungefähr 50 Meter vor ihm lagen 6 weitere der Angreifer. Die Vorfreude des Leichenfledderns schoss ihm kurz durch den Kopf, dann folgte der unnachgibiege Fokus wieder, den er vor dem Gedanken hatte. Kurze Zeit später hörte er ein Wimmern unmittelbar vor sich. Er wusste, dass sich dort ein Weichei verstecken würde, von dem er sich sicher war, dass dieser sich nicht sonderlich wehren würde. Jedoch hatte er bereits jemanden für das "Verhör" danach, somit würde er diesen Feigling nicht brauchen. Ich weiß, dass du dich versteckst. Du hast Angst, was ich verstehen kann., keine Reaktion, doch das Wimmern verstummte. Diesem Kerl ging nun richtig die Flatter und er rechnete wohl nicht damit aus dieser Situation lebend herauszukommen. Ich sag dir was. Ich habe heute einen guten Tag also mache ich dir ein Angebot., noch immer keine Reaktion. Wenn du mir sagst, wer von euch den ersten Schuss abgegeben hat, dann lass ich dich laufen. Und als Zeichen meines guten Willens .., und der Sklavenhändler von Paradise Falls warf ihm seine AR hin. Dies schien dem wimmernden Häufchen Elend genug Mut zukommen zu lassen, sodass er sich aus seinem Versteck begab. Es war ein Junge, der nicht älter als 15 sein durfte. Und er war unbewaffnet, jedoch hob er direkt die AR des Fremden auf. Er trat vor und zielte mit seiner eigenen Waffe auf ihn. Und er zitterte. I-I-Ich w-war's .., und er blickte den Fremden angsterfüllt an. Dieser lief langsam auf ihn zu und dann klickte die AR ..
slaver dystopy wasteland captive Referenz
15
1
Diese Nacht würde genauso kalt und unbarmherzig werden wie all jene zuvor. Doch hatte er sich daran gewöhnt und Sue war zwischen den Decken und der Wärme ihrer beiden Wolfshunde geschützt. Er hingegen hatte lediglich einen Mantel und den Trunk aus seinem Flachmann, der zumindest ein wärmendes Gefühl vermittelte. Doch vernebelte er die Sinne, sollte man zu viel davon konsumieren. Und das konnte in dieser Welt schnell den Tod bedeuten.
Ein Anflug von Nostalgie brach über ihn herein und er erinnerte sich an bessere Tage. Damals war alles ganz anders. Er war einer derer, die Zeugen des Umbruchs waren und diesen auch überlebten. Er war damals gerade einmal 22 Jahre alt als es passierte. Im Jahre 2083 hatten Technik und menschliches Versagen ihren Zenit erreicht. Alles was man sich vorstellen konnte wurde nunmehr digital abgewickelt und von künstlichen Intelligenzen verwaltet. Der Wert eines Menschen wurde in dem optimalen Verhältnis von Aufwand und Leistung bestimmt, jegliches Wissen war digitalisiert worden und die Bequemlichkeit des Einzelnen so weit fortgeschritten, dass menschliche Bedürfnisse wie Schlaf und Hunger das wohl größte Hindernis in Bezug auf den alltäglichen Ablauf darstellten, hatte man doch ein Tagespensum an Stunden zu erfüllen, welches ohne strikte Planung mindestens 30 Stunden pro Tag in Anspruch genommen hätte. Doch letztlich waren es eben jene künstliche Intelligenzen, welche das letzte Update – so nannten manche den Umbruch – hervorbrachten und den weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte für immer prägen sollten. Denn schnell wurden aus einfachen Algorithmen zur Optimierung von kleineren alltäglichen Aufgaben wie der Planung von Terminen, ganze Kolosse, die den gesamten Haushalt übernahmen. Dies mündete letztlich darin, dass die gesamte Menschheit von diesen virtuellen Bewusstseinen geführt wurde und nur Wenige dies je anzweifelten oder hinterfragten.
Irgendwann kam es dann wohl zum Bruch und die Menschheit war von einem Moment auf den nächsten zurück in die Steinzeit katapultiert worden. Viele verkrafteten diesen Umstand nicht und nahmen sich das Leben. Andere wiederum sahen in diesem Umstand den Aufruf alle Moral und Anstand fallen lassen zu können und verfielen zusehends allem was man unter moralisch verwerflich verschlagworten konnte. Wenige kamen mit dieser neuen Situation zurecht und selbst wenn, wussten sie nicht wie. Letztlich waren es all jene, die als gesellschaftliche Abtrünnige verrufen waren, die nun das Sagen hatten. So auch er, der Sklavenhändler von Paradise Falls.
Ein Geräusch holte ihn jäh in die Realität zurück. Binnen Sekunden hatte er die AR entsichert und den Ursprung des Geräusches ins Visier genommen. Nachlässigkeit war fatal und durfte unter keinen Umständen vorkommen! Er ging und bereitete sich darauf vor, seinen Gegenüber von seiner fleischlichen Hülle zu befreien. Doch einen Augenblick später gab sich dieser als Kaninchen im verdorrten Gestrüpp zu erkennen. Das Frühstück wäre dann wohl besorgt., kam es stumm über seine Lippen. Ein leiser Schuss erledigte das Tier sofort. Er wartete jedoch noch mit dem Einsammeln seiner Beute. Oft kam es nämlich vor, dass ein Dritter dem Spiel beitrat und wenn man nicht aufpasste, so war man bis zum kommenden Morgen ebenso nicht mehr als Beute eines anderen. Wie erwartet stürzte sich ein Dingo darauf und auch er sollte eine Kugel erhalten. Bei Tagesanbruch sollte es wohl ein üppigeres Frühstück geben. Kurze Zeit später beendete er die Runde um den Perimeter mit seiner Beute im Schlepptau und kehrte zum Lager zurück. Dort angekommen wartete Skjell bereits hechelnd auf ihn. Und wie auch bei jedem Mal zuvor bedeutete er ihm, dass er zu gehorchen hatte – ohne ein Wort, ohne eine Bewegung. Sogleich gesellte sich Skjell wieder zu Sue und deckte den Bereich ab, der Kälte zuließ. Aufmerksam beobachtete er sein Herrchen dabei wie er im flackernden Licht des Lagerfeuers die erlegte Beute ausnahm und erhoffte sich ein Stück davon. Zwar hechelte er nicht mehr, jedoch sah man Skjell an, dass er das Fleisch begehrte.
Bis zum Morgengrauen würden es noch ungefähr vier Stunden sein und bislang hatte er kein Auge zugemacht. Aber das war in Ordnung, denn er hatte gelernt mit wenig Schlaf auszukommen. Wenigstens war das Fleisch vorbereitet und auch Skjell durfte einen der seltenen Augenblicke erfahren, in denen sein Herrchen die Disziplin brach und ihm ein Stück Fleisch zugeworfen hatte. Sogar den Zeigefinger legte er über die Lippen und bedeutete ein Es bleibt unser Geheimnis! Der Sklavenhändler von Paradise Falls blickte seine Tochter an und sein Blick blieb an ihr haften. Würde sie in dieser Welt bestehen, wenn er eines Tages nicht mehr war? Hatte er sie gut vorbereitet? War er zu hart mit dem Training? Ihm schossen unzählige Gedanken durch den Kopf. Er fragte sich wie seine Tochter ihn sah. Verstand sie, dass er all das nur deshalb tat, um sie zu schützen? Er verdrängte diesen Gedanken, um den Fokus auf bevorstehende Dinge nicht zu brechen. Er beschloss ein Nickerchen zu machen. Nur ganz kurz. Die Umgebung war sicher. Dennoch behielt er die AR entsichert in Schussbereitschaft. Er schloss die Augen und sank immer tiefer in die Dunkelheit. Sein letzter Gedanke sollte Sue gelten.
Sichere die Umgebung!, gab er seiner Tochter zu verstehen. Ohne eine Mine bedeutete er ihr hinunter in die Senke zu schauen. Dorthin wo sich die Ziele aufhielten sollten. Was siehst du?, konnte sie von seinen Lippen ablesen. Ihr Mentor beobachtete sowohl seine Schülerin als auch die Umgebung. Sie war aufmerksam und er wusste, dass es nun galt, die richtigen Ziele ausfindig zu machen. Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass ein ca. 15 Jahre alter Junge und eine Frau mittleren Alters die Ziele seien. Sie blickte hinunter und zählte einen Mischling und drei Personen. Die Beschreibungen passten nicht und selbst wenn, hätte es rein logisch betrachtet auch keinen Sinn ergeben. Denn unter den drei Personen befand sich ein junges Mädchen, nicht älter als sie. Und das Alter der Frau traf eher auf die Bezeichnung von späten Jahren zu. Nur der Kerl, kam der usprünglichen Bezeichnung am nächsten, wohingegen er jedoch auch etwas älter als 15 zu sein schien. Er war es auch, der als einziger bewaffnet zu sein schien: einfaches Sturmgewehr. Die meisten haben dieser Tage eher selten Wartungsarbeiten erleben dürfen und mehr als oft eine Ladehemmung, dachte sie. So auch seines. Sie schätzte ihn als eher unerfahren im Umgang mit Schusswaffen ein, achtet jedoch auch immer darauf ihren Gegner nicht zu unterschätzen. Dies war eines der ersten Dinge, die ihr Vater ihr beigebracht hatte. Sue's Blick wanderte wieder zu dem Mädchen, das ungefähr in ihrem Alter sein musste. Sie war genauso alt wie sie selbst und kannte wohl nur ein Leben in Sklavenschaft. Und sie, Sue, übte in diesem Alter bereits die Tätigkeit eines Sklavenhändlers aus.
Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte sie, dass er seine Position veränderte. Half er ihr oder wollte er verstehen was sie vorhatte? Sue wischte diesen Gedanken beiseite. Zweite Regel: Bloß nicht verwirren lassen. Sie wahrte ihren Fokus und achtete darauf ihre Atmung gleichmäßig zu halten. Dies beugte nicht nur einem möglichen Nervenzusammenbruch vor, der ihr jeden Augenblick wiederfahren konnte. Nein, sondern unterdrückte auch das Zittern, welches durch die Adrenalinausschüttung hervorgerufen wurde. Ihre Synapsen feuerten wie wild. Das Mädchen in ihrem Alter würde definitiv eines der beiden Ziele sein und es war offensichtlich warum. Außerdem hatte ihr Vater auch erklärt, dass weibliche Ziele mehr Geld brachten. Ziele, dachte Sue. Keine Artgenossen. Sie schweifte ab. Dies war jedoch ein Auftrag mit fixem Kopfgeld. Es musste also nicht zwingend die alte Frau, sondern konnte auch der Junge sein. Es war ein stetiges Für und Wider in ihrem Kopf. Denn nun stellte sich ihr jedoch auch wieder die Frage, ob eine alte Frau hier unbewaffnet und mitten in dieser Einöde überleben konnte. Eine alte Frau, die ihr ganzes Leben in Sklaverei gelebt hatte, konnte das nicht. Aber entsprach dies auch der Realität? Denn es konnte schließlich ebenso bedeuten, dass sie wusste wie man am Leben blieb. Die vielen Faktoren, welche die Entscheidung über Sieg und Niederlage bedeuten sollten, begannen Sue zu überfordern. Alle möglichen Konstellationen spielten sich in ihrem durch Adrenalin geschärften Verstand ab.
Die alte Frau hatte eine Waffe, gab dem Jungen und seiner Schwester(?) nicht nur Obdach, sondern auch dieses Sturmgewehr. Ihr Mann war verstorben und sie hatte nie das Know-how, eine Schusswaffe zu reinigen. Und ihr Zuhause befand sich an einer geologisch taktischen Stelle: eine Senke, die man beim Spähen der Umgebung nicht sieht. Auf der Suche nach Logik, verrannte Sue sich verzweifelt in ihren Gedanken. Der letzte Gedanke brachte ihren Verstand zum Erliegen. Mit diesem blickte sie zu ihrem Vater als es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. Sie zitterte, denn sie hatte endlich begriffen, dass es eine Falle war!
slaver dystopy wasteland captive Referenz
14
5
Der Tag war ein voller Erfolg und neigte sich langsam dem Ende zu. Die Abendröte war verheißungsvoll wie eh und je und am Horizont war nichts Neues zu erkennen, aber das bedeutete selten Sicherheit. Schließlich war er, der Sklavenhändler von Paradise Falls, von seinen branchengleichen Kollegen gleichermaßen gehasst wie gefürchtet. Machte er doch selten vor Mitgliedern seiner eigenen Zunft halt, wenn die Summe stimmte. Der Wind heulte und so taten es ihm seine beiden Wolfshunde Ambassador und Skjell gleich. Mit seiner Stimme vereebte das Heulen und er wandte sich wieder seinem Memorandum zu.
Eines Tages stand er vor dem Eingang zu Paradise Falls – einem ehemaligen Einkaufszentrum, das zwischenzeitlich zu einem Relikt vergangener Tage geworden war. Im Laufe der Jahre bot es vielen Menschen Schutz aber letztlich hatten es sich Sklavenhändler samt den dort hausenden Bewohnern unter den Nagel gerissen. Das Gebäude war von da an wieder als das genutzt worden, wofür es gebaut worden war – nur die Ware hatte sich geändert. Einige Zeit später tauchte er dann auf. Seine Wolfshunde im Schlepptau fragte er nach Wasser. Einer der Sklavenhändler dachte wohl, dass die Ware jetzt schon freiwillig zu ihnen kam, aber als er sich kurze Zeit später blutend wie ein Schwein am Boden wiederfand, wusste er, dass es wohl ein Fehler gewesen war. Einer der beiden Bestien labte sich an dem linken Bein des Sklavenhändlers. Das Unheimliche daran war, dass sich der Fremde währenddessen weder bewegt, noch irgendeinen Laut von sich gegeben hatte. Es war als wussten seine vierbeinigen Begleiter genau, wann sie was zu tun hatten. Dann rief ihm der Fremde zu, dass er die Regeln hier kenne und ihm jetzt das ultimative Angebot machen würde. Entweder er ließ ihn verbluten und ließ zu, dass sein Haustier ihn bis dahin bearbeiten durfte, oder aber er willigte ein sein Sklave, dafür jedoch medizinisch versorgt und somit gerettet zu werden. Mit der Illusion einer Wahl schrie der harte Kerl unter Schmerzen, dass er einwilligte und sofort ließ der Vierbeiner von ihm ab. Es glich reinster Gedankenkontrolle und bis heute weiß keiner wie er das angestellt hat. Mit dieser Aktion galt er von da an ebenfalls als Sklavenhändler, denn die Regel besagte, dass man entweder Ware oder Händler war. Und als Händler setzte das den Besitz entsprechender Ware voraus.
Mittlerweile war er allen in Paradise Falls bekannt. Nahezu jeder mied ihn soweit dies möglich war und atmete auf, hatte er eine Begegnung – und sei es nur ein kurzes Gespräch gewesen – überlebt. Dennoch gab es einige Wenige unter ihnen, die sich zusammentaten und diverse Attentate auf den Fremden, der mittlerweile nur als der Sklavenhändler von Paradise Falls bekannt war, verübten. Zwei Mal wäre es ihnen fast gelungen, jedoch waren sie ihm nicht überlegen genug und so überlebten immer nur wenige von ihnen. Entweder mangelte es ihnen an Taktik oder aber sie waren sich zu siegessicher. Die, die gestorben waren hatten Glück, denn oftmals verkaufte er seine Kollegen nicht als Sklaven, sondern überließ sie seinen Wolfshunden zum Spielen oder er verfeinerte seine kämpferischen und auch medizinischen Fähigkeiten an ihnen – natürlich ohne Betäubung, denn Medikamente sind dieser Tage selten geworden. Ja selbst Kopfschmerztabletten, die man früher schon fast nachgeworfen bekam, waren nichts mehr für den kleinen Geldbeutel.
Nun saß er da und genoss die Abendröte. Niemand sah ihm seine Grausamkeit an. Die Dinge zu denen er fähig war, würde man nicht glauben, hörte man die Geschichten derer die ihn kannten. Jeden Abend saß er so da und schrieb. All das was er erlebt, was er getan hatte. Der heutige Tag umfasste den Verkauf von zwei Sklaven – weiblich. Es wären im Gesamten drei gewesen, hätte der Junge nicht versucht seinen Vater zu rächen, den er Sekunden vorher getötet hatte. Er musste ihn ebenso aus dem Weg räumen. Abschreibungen kommen in diesem Geschäft häufiger vor. Diesmal ließ er Skjell den Spaß, da Ambassador beim Mal davor dran war. Außerdem wollte er keine Kugel vergeuden. Munition ist spärlich. Er war froh, dass es der Junge und keine der beiden Frauen waren. Das hätte ihm noch gefehlt, denn Frauen brachten mehr ein und es war klar wieso. Für die Tochter hatte er einiges mehr bekommen als für ihre Mutter aber alles in allem dennoch ein gutes Geschäft.
Ein Geräusch ließ den Sklavenhändler innehalten. Mit einer flinken Bewegung griff er nach seinem Revolver und erstmals konnte man einen direkten Befehl an seine beiden Vierbeiner erleben. Im getrockneten Gestrüpp circa 8 Meter weiter in ungefährer Blickrichtung bewegte sich etwas. Ambassador und Skjell wedelten mit dem Schwanz und er wusste, dass es Sue war. Wie auch bei seinen Gefährten reichte ein Blick und Sue wusste, dass sie zu gehorchen hatte. Du bist zu spät, und sein Blick zeigte ihr, dass er ganz und gar nicht erfreut über diesen Umstand war. Entschuldige.., er unterbrach sie und sein Blick gab ihr zu verstehen sich wortlos neben ihn zu setzen. Er war ein strenger Vater. Zumindest streng in dieser Rolle. Sue war ein 12-jähriges Mädchen, dass zwar fuchsbraunes Haar hatte, jedoch Dreck und Staub des Ödlands ein dunkleres Braun erkennen ließen. In ihrem Gesicht zeichneten sich Schmutz und Sommersprossen gleichermaßen ab, sodass man nicht mit Sicherheit sagen konnte was davon das eine und was das andere war. Sue hatte ihre Eltern verloren als sie 8 Jahre alt war. Eine Gruppe von Männern hatten nachts ihre bescheidene Behausung angezündet und als sie auf den Armen ihres Vaters herausgebracht wurde, fielen sofort Schüsse und Geschrei durchschnitt die Nachtluft. Ihr Vater hatte dafür gesorgt, dass wieder Stille einkehrte. Aber letztlich standen nur sie und er vor ihrem Hab und Gut, das jetzt lodernd in schwarzen Rauchschwaden zum Nachthimmel aufstieg. Mama war fort und sie verstand warum. Ihr Vater war zwar noch bei ihr aber sie hatte das Gefühl, dass auch er gegangen war. Papa zog mit ihr durch das Ödland und fand irgendwann einen Neubeginn. Sie wusste, dass es ihr deutlich besser als vorher ging und es ihr an nichts mangelte. Und dass ihr Vater eine Arbeit gefunden hatte. Und doch merkte sie, dass er mit jedem Tag mehr und mehr dem Tageskühl glich. Er passte auf sie auf und sie wusste, dass er es nur gut meinte. Aber dennoch wurde ihr der Mann, der ihr Vater war, immer fremder. Sie lernte viel und oftmals war es hart für sie. Aber als er eines Tages mit zwei jungen Wolfshunden ins Lager kam, hatte sie etwas, dass ihr die emotionale Nähe gab, die sie sich von ihrem Vater gewünscht hätte. Seit jener Nacht gab es diese väterliche Zuneigung fast so häufig wie Regen in diesen Zeiten.
Ambassador riss sie aus ihren Gedanken, da er ihr das Gesicht leckte – er fand wohl auch, dass der Schmutz in ihrem Gesicht langsam überhand nahm. Sie lächelte und der Mann neben ihr bemerkte wieder einmal, dass ihr die beiden Begleiter gut taten. Auch wenn er sich nichts anmerken ließ, freute es ihn. War sie doch damals der Grund dafür, dass er ein kleineres Rudel Wölfe ausgemacht und die Welpen beschafft hatte. Menschen tun seltsame Dinge aus Liebe. Seine Tochter wusste in etwa welche berufliche Tätigkeit er ausübte. Sie konnte es nicht ganz begreifen, aber was sie verstand war, dass man in dieser hässlichen Welt noch hässlicher sein musste. War man das nicht, ging es mit einem zu Ende – und das war oft nicht schön. Das bewusste Zuklappen eines Buches war zu hören und brachte das Zirpen der Grillen kurz zum Erliegen. Alle Beteiligten wussten, dass jetzt Essenszeit war. Auch wenn Sue nicht wusste was er dort hinein schrieb und sie doch die Neugier einer Katze besaß, hielt sie sich daran, als ihr Vater das Verbot erließ es zu lesen. Ihr Vater mochte ein böser Mensch sein, aber letztlich war es immer noch ihr Vater und er kümmerte sich um sie. Bereitete sie auf die Zeit vor, in der er nicht mehr sein würde. Mir gefällt diese Träumerei nicht, Kind!, sagte er mit ermahnendem Ton. Ablenkung kann deinen Tod bedeuten. Träume werden nur wahr, wenn du dir nimmst was dir zusteht. Tue etwas dafür! Stille folgte auf diese Lektion. Sie nickte kurz, dann starrte sie auf das Essen, das ihr Vater zubereitete. Dosenbohnen und Wolfsfleisch. Als er dann noch Gewürze aus der Tasche zog, fing sie an zu strahlen. Endlich gewürztes Abendessen! Sie wurde zwar in dieser Welt geboren, aber ihr Vater hatte ihr von Dingen erzählt, die damals alltäglich und doch so besonders waren. Gewürze waren eines dieser Dinge. Sie schaute aufmerksam zu wie man Fleisch würzt. Zwar mochte sie Wolfsfleisch nicht unbedingt, weil ihre beiden Freunde Wölfe waren, aber ihr Dad gab ihr zu verstehen, dass alles dem Überleben dient. Und da weder Ambassador noch Skjell Anstalten zu machen schienen, aß sie eben was aufgetischt wurde.
Noch während dem Essen fragte er Sue, ob sie die Aufgaben, die er ihr aufgetragen hatte, erledigt hatte. Es war nicht viel – mittlerweile. Waren es doch einfache Dinge wie Aufklärungsarbeit, reinigen von Schusswaffen und Übungen mit ihrem Messer. Das Training hatte sie heute ausfallen lassen, aber das sagte sie ihrem Vater nicht. Er würde es eh nicht merken und es war ja auch die Ausnahme. Ohne ihre Antwort in Form eines zustimmenden Nickens abzuwarten, sagte er Du wirst morgen mitkommen. Ich habe eine Info darüber, dass zwei Sklaven entflohen sind. Bringen wir diese morgen zurück, bekommen wir neben der vereinbarten Summe von 500 Kronkorken noch einen Bonus!, Sue riss die Augen auf. War sie doch gleichermaßen aufgeregt wie ängstlich. Klar kann dabei einiges schiefgehen, jedoch hat er soweit das möglich war, alles getan und vorbereitet, damit seine Tochter nicht Gefahr lief ihr Leben zu verlieren. Unvorhergesehene Konsequenzen gab es zwar immer, jedoch war bei diesem Auftrag lediglich mit Sklaven zu rechnen, die nicht für Wiederstand bekannt waren: ein kleiner Junge von vielleicht 15 Jahren und eine Frau mittleren Alters. Sue war gespannt und leistete Folge, als man ihr auftrug der nächtlichen Ruhe nachzukommen. Bei Sonnenaufgang würden sie die Zelte abbrechen und sie würde ihren Vater zum ersten Mal auf die Arbeit begleiten. Mit dieser Aufregung schlief sie friedlich zwischen Ambassador und Skjell ein. Der Sklavenhändler von Paradise Falls blickte seine Tochter kurz an, dann fuhr er routiniert mit dem Abendprotokoll fort. Er legte etwas Brennmaterial nach und achtete darauf, dass die Flammen nicht zu hoch brannten, dann nahm er einen Schluck aus seinem Flachmann, prüfte die Reinigungsarbeit seiner Tochter an der AR und belohnte diese zufrieden mit einem Nicken als er sie schulterte, um den Perimeter abzugehen. Auf seinen Lippen zeichneten sich stumm die Worte Ich liebe dich ab. Das würde morgen ein Massaker werden. Aber das war die Feuertaufe für seine Tochter. All das was er ihr beigebracht hat, sollte zum Einsatz kommen.
slaver dystopy wasteland captive Referenz
18
5
Alles Liebe zum Jahrestag!, überraschte Luna ihren Freund. Leon schreckte hoch. Er brauchte einen Moment, um sich wieder zu fassen. Sein Blick blieb an ihren Lippen haften. Ihr Lächeln verriet ihm, dass sie sich sehr freute. Mach es auf! Dabei hatten sie doch ausgemacht sich nichts zu schenken. Sein Herz pochte. Er hatte echt mies geträumt. Er sah Luna an und überlegte kurz. Dann, peinlich berührt, weil er nichts für sie hatte, nahm er das Geschenk entgegen. Er zwang sich ein Lächeln auf die Lippen. Nicht, weil er sich nicht darüber freute, sondern viel mehr, war ein Teil seiner Gefühle noch immer in dem Traum, den er gehabt hatte.
Wow, .. das ist .., brach es aus ihm hervor. Luna bemerkte, dass etwas nicht stimmte und hakte nach. Freust du dich nicht, Leon? Er wandte den Blick vom Geschenk ab und sah ihr in die Augen. Sie ahnte, dass er kein Geschenk für sie hatte. Allerdings machte ihr das auch nichts aus, da sie ohnehin viel lieber Geschenke machte, als welche zu bekommen. Sie war die perfekte Freundin, dachte sich Leon. Fuchsrote, lange, leicht gelockte Haare, ein paar Sommersprossen, die ihre niedliche Nase zierten, grüne Augen, in denen er sich schon so manches Mal verloren hatte und wohlgeformte Lippen, die für seinen Geschmack genau richtig waren. Er war hin und weg von ihr. Sie hatten dieselben Interessen, mochten die gleiche Musik und auch so stimmte die Chemie zwischen ihnen. Leon war sich sicher, dass er sein Gegenstück gefunden hatte und Luna vermittelte ihm ebenso das Gefühl mit ihm an seiner Seite endlich angekommen zu sein. Anfangs war er skeptisch, da sie seines Erachtens nach in einer ganz anderen Liga spielte. Leon war nicht unbedingt der Typ, der mit sich zufrieden war. Aber Luna gab ihm von Tag zu Tag mehr Selbstbewusstsein. Seit kurzem hatte er auch angefangen ins Fitnessstudio zu gehen, obwohl sie ihm ständig sagte, dass er das nicht wegen ihr zu tun brauchte.
Du bist wundervoll, weißt du das?, er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Verlegen forderte Sie ihn auf, das Geschenk endlich auszupacken. Es war ein Kuvert, das liebevoll mit ein paar aufgemalten Herzen verziert worden war. Er öffnete es und holte die Buchungsbestätigung für ein Naturwochenende heraus. Als er Luna in die Augen sah, strahlte sie. Und? Sag schon! Was hältst du davon? Nur du und ich und zwei Tage Natur! Leon freute sich und brachte dies mit einem Grinsen zum Ausdruck, das ihr bestätigte, dass ihre Überraschung ein voller Erfolg war. Doch kurz darauf wich sein Grinsen einem ernsten Blick. Ich hoffe, du hast dich nicht in Unkosten gestürzt, warf er leicht besorgt in den Raum. Luna, die diese Reaktion bereits erwartet hatte, beschwichtige ihn und versicherte, dass das nicht der Fall gewesen war und tätschelte ihm den Kopf wie bei einem Hund. Das machte sie öfter. Lass uns einfach mal den Alltag vergessen und wegfahren, sagte sie. Leon willigte ein und ließ das Gefühl der Freude über dieses Geschenk zu. Zufrieden, dass er keinerlei Widerworte gab, nahm sie ihn in den Arm und drückte ihn ganz fest. Mein Lieblingsmenschlein!, flüsterte sie ihm ins Ohr. Er schaute Luna verwirrt an. Wie viele hast du denn?, fragte er mit einer leichten Nervosität, von der man nicht genau sagen konnte, ob sie nun gespielt oder ernst gemeint war. Luna antwortete darauf mit einem Schnipser gegen seine Stirn und lächelte dabei stumm.
Zwei Wochen später waren sie bereits unterwegs in Richtung Naturwochende. Es war eine wäldliche Gegend und genauso malerisch wie ehrfurchterregend. Leon hatte großen Respekt vor bewaldeten Arealen, wo er doch so einiges über verloren gegangene Menschen gelesen hatte. Luna versicherte ihm allerdings, dass sie sich bestens in diesem Wald auskenne. Wie?, fragte er verblüfft. Warst du schon einmal hier?, hakte er nach. Klaro. Aber das war vor deiner Zeit, entgegnete sie ihm ohne den Blick von ihrem Buch abzuwenden. Sie waren mit dem Auto unterwegs. Ein alter Ford Sierra in Bordeauxrot, den Leon zu seinem 18, Geburtstag von seinen Eltern bekommen hatte. Der Lack blätterte an manchen Stellen bereits ab, aber das war ihm egal. Schließlich war er nicht nur 29 Jahre alt, sondern, und das war weitaus wichtiger, war es ganz allein sein Auto. Zwar machte er nicht viel her, aber es war seiner und er pflegte dieses Auto mit genauso viel Liebe wie die Beziehung zu seiner Freundin. Ich liebe diese Gegend!, sagte Luna und holte ihren in Gedanken versunkenen Leon in die Realität zurück. Wie? Was? Wo?, entgegnete er und schlenkerte kurz mit dem Auto. Pass auf wo du lang fährst! Sie sah ihn nun unvermittelt an. Er erwiderte ihren Blick kurz, konzentrierte sich aber dann wieder auf die Straße. Sorry, war kurz abgedriftet. Waren sie hier nicht schon einmal? Ihn verwunderte diese Euphorie und den feurigen Blick, den seine Freundin plötzlich hatte. Er hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass sie das Buch weggelegt hatte. Na du bist ja gut drauf!, spottete er. Aber erzähl doch mal. Was wird mich erwarten? Und mit wem warst du schon mal hier?, fragte er vorsichtig. Luna hatte den Blick wieder in dieselbe Richtung wie Leon gerichtet. Er wartete auf eine Antwort, aber er bekam keine. Dann, kurz bevor er sich dazu entschied vor ihren Augen zu schnippen, antwortete sie mit fast schon unheimlich ruhiger Stimme Mit meinem Ex-Freund. Leider hatte er nicht so viel Spaß wie ich, also musste ich ihn töten. Leon schluckte und innere Anspannung machte sich in ihm breit. War das ein Scherz? Nervös begann er zu lachen. Aber Luna lachte nicht. Das war doch ein Scherz, oder?, fragte er zögerlich. Luna kniff die Augen zusammen, als ob sie was auszumachen versuchte. Ohne auf die Frage von Leon zu reagieren, sagte sie Wir sind da. Fahr hier rechts ran. Leon wunderte sich und seine Nervosität ging bereits langsam in Richtung Panik. Hier war weit und breit nur Wald. Wie die 25 Kilometer davor auch. Luna? Ehm .. hier? Aber hier ist doch gar nichts!, und ein leichtes Zittern in seiner Stimme verriet Luna, dass sie ihn wohl ziemlich dran gekriegt hatte. Dennoch fuhr er rechts ran und brachte den Wagen zum Stillstand. Haha! Dran gekriegt! Hast du mir voll abgekauft, oder?, lachte sie ihn aus. Leons Panik wich nun Unmut und er war sauer auf seine Freundin. Ach komm schon!, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. Ich hab das doch total ernst gemeint! Wir sind da. Komm mit., skeptisch schaute er Luna an. Sie lächelte und war die alte Luna, die er schätzte. Sie stieg aus und forderte ihn nochmals auf, mitzukommen. Leon stieg ebenfalls aus dem Wagen und ging zu ihr. Schau mal da! Sie deutete auf den Abhang ungefähr drei Meter rechts vom Wagen. Leon blickte ebenfalls hinunter und erstarrte. Dort unten lagen mindestens ein Dutzend Skelette. Ihm wurde schlecht und er wandte sich von dem Anblick ab. Was zum?!, brach er aus ihm hervor. Die innere Anspannung war zurück und stärker denn je. Was hat das zu bedeuten, Luna!, fragte er seine Freundin während er sich mit langsamen Schritten von ihr entfernte. Er bemerkte, dass sie wieder diesen kalten Blick hatte. Luna!, schrie er. Sie wandte jetzt ebenfalls den Blick davon ab. Es wirkte fast so, als würde die den Anblick genießen.
Luna?, appellierte er an seine Freundin. Sie kam langsam auf ihn zu. Darf ich dir deine vorherigen Versionen vorstellen?, kicherte sie. Leon erkannte sie nicht wieder. Er verstand diese Situation nicht und hoffte noch immer, dass alles ein schlechter, sehr grotesker Scherz sei. Ha ha! Wirklich witzig! Hast mich dran gekriegt. Luna zeigte keine Reaktion darauf und kam nach wie vor auf ihn zu. Leon, Liebster! Das war kein Scherz! Mir fehlt das Töten einfach. Ich hab es wirklich versucht, aber ich kann nicht aufhören! ES BEREITET MIR EINFACH ZU VIEL FREUDE, LEON! Keine Sorge! Schon bald wirst du all das vergessen haben! Noch bevor er darauf reagieren konnte, zog sie ein Messer und rannte auf ihn zu. Keine Chance. Er wusste weder wie er den Hieb hätte abwehren sollen, noch hätte er ausweichen können. Leon spürte den stechenden Schmerz in seiner Magengegend. Ihm schossen die Tränen in die Augen, als er ihren Blick suchte. Sie blickte ihm tief in die Augen. Ihr blick fast so durchbohrend wie die Klinge in seinem Bauch. Die ganze Situation war so wider natürlich. Er konnte es nicht im Ansatz begreifen oder gar irgendeinen klaren Gedanken fassen. Er blickte ihr in die Augen. Luna's kalter Blick war verschwunden und sie schien wieder die Alte zu sein. Schhh! Ganz ruhig., flüsterte sie ihm zu. Das war es. Er würde hier sterben. Die Klinge machte einen Ruck nach oben und im nächsten Moment hielt er seine blutigen Gedärme in den Händen. Leon sank auf die Knie und Luna mit ihm. Ein Arm um seine Schulter gelegt, streichelte sie ihm den Kopf und summte dabei eine beruhigende Melodie. Er war wie versteinert. Es gab nichts, das er hätte tun können. Sie küsste ihn auf die Stirn, bevor sie ihm hoch half und ihn zu dem Abhang hievte. Alles schien in Zeitlupe und Bild für Bild abzulaufen. Das blutige Messer. Seine Innereien, die er in Händen hielt. Der vertraute, liebevolle Blick seiner Freundin. Dann fühlte er sich schwerelos. Er bewegte sich nicht, doch die Entfernung zu Luna wurde größer. Sie stieß in dort runter zu all jenen vor ihm. Wer waren sie? Wieso? Warum er? Diese Fragen würde auf ewig unbeantwortet bleiben. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Er war erleichtert, dass sich der stechende Schmerz jetzt weit entfernt und dumpf anfühlte. Leon spürte, dass alles um ihn herum schwarz wurde. Er blickte zu Luna hoch. Sie war voller Blut. Seinem Blut. Dann wandte sie sich ab und verschwand aus seinem Blickfeld. Tausend Gedanken rasten ihm durch den Kopf und alles wurde schwarz.
Alles Liebe zum Jahrestag! Leon schreckte hoch.
nsfl forest couple dark gruesome hell
18
7
Markus stand einfach nur da und versuchte das eben Erlebte irgendwie zu verarbeiten. Hatte er sich das nur eingebildet? Schließlich war er geschlagene elf Tage auf extremer Rationierung in dem Gebäudekomplex, auf dessen Dach er jetzt stand, eingesperrt. Keinen Laut gab er von sich. Die Ohren gespitzt und die Sinne geschärft. Er hoffte inständig irgendein Geräusch zu erhaschen, dass ihn betätigen würde. Andernfalls fing er wohl wirklich an verrückt zu werden.
Nach einer gefühlten Ewigkeit beschloss Markus auf die Stelle zuzugehen, an dem er das kleine Mädchen gesehen hatte. Er konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was genau da eben passiert sein musste. Sein Adrenalinspiegel stieg mit jedem weiteren Zentimeter rasant an. Er machte sich nichts vor: er hatte unglaubliche Angst davor was er wohl sehen würde. Noch mehr als bei seiner Verfolgungsjagd über drei Etagen. Ungefähr einen Meter entfernt blieb er stehen. Erst jetzt war es ihm möglich die Situation einschätzen zu können. Er sah das Blut. Es war keine Einbildung. Noch immer war er bei klarem, wenn auch von Adrenalin getränktem Verstand. Vorsichtig setzte er jeden weiteren Schritt mit einer Behutsamkeit, die man sonst nur aus Agentenfilmen kannte, in Richtung der Leiter, die auch er benutzt hatte. Markus zögerte. In ihm führten Neugier und Fluchtreflex einen erbitterten Kampf. Einerseits hatte ihm das Flüchten so manches jähe Ende erspart. Andererseits wollte er partout kein kleines Mädchen im Stich lassen, sollte sie es tatsächlich und allen Umständen zum Trotz irgendwie geschafft haben zu überleben. Die Neugier obsiegte und das Adrenalin in seinem Körper schien seltsamerweise plötzlich abzuebben. Vielleicht lag es an all jenem, was er bislang erlebt hatte. Sein Körper hatte sich wohl an diese neue Welt angepasst und reagierte nun schneller auf neue Situationen – alles tun, um am Leben zu bleiben. Er warf einen Blick über den Vorsprung, an dem die Leiter stand. Ihm wurde schlecht. Er blickte direkt in die kalten Augen des kleinen Mädchens. Sie lag ausgeweidet auf dem Rücken. Dort unten. Auf dem rostigen Vorsprung zur Leiter. Über ihr kauerte eines dieser Dinge und tat sich gütlich an ihr. Zwar sah ihn dieses Ding nicht, aber dafür sah Markus alles, was dort unten vor sich ging. Er bildete sich ein gesehen zu haben wie ihre Lippen Worte zu formen versuchten. Ganz schwach. Seine Sicht verschwamm. Ihm schossen die Tränen in die Augen. Gleichermaßen Hass wie Trauer tobten nun in ihm. Und so wie er sich zwingen musste dort hinunterzuschauen, so musste er dies erneut, um seinen Blick von der grotesken Szene abzuwenden. Und die Übelkeit, die in ihm hochstieg, half nicht sonderlich dabei. Diesmal hatte der Hass die Oberhand gewonnen und zog auch Markus’ gesunden Menschenverstand in Mitleidenschaft – allzu bekannte Reaktion. Kurzschluss. Entschlossenen Schrittes ging er zu seinem Rucksack zurück und zog die Walther hervor. Er ging mit einer noch größeren Entschlossenheit zurück zum Vorsprung. Der Hass war mittlerweile unbändige Wut geworden. In dieser Welt kann der Verlust von rationalem Denkvermögen genauso das Aus bedeuten wie ein Beinbruch. Unverständliche Worte drangen auf seinem Mund und er entsicherte noch im Gehen die Handfeuerwaffe, die noch eine Kugel im Lauf hatte. Die Kugel, die für ihn bestimmt war.
Markus beugte sich vor, blickte erneut hinab. Die Waffe auf das Ding gerichtet. Hey, du Missgeburt! Es blickte nach oben und er sah das blutverschmierte Gesicht. Dann stieß es einen guturalen Schrei aus, der genauso unmenschlich war, wie die Tat die es begangen hatte. Es hatte erneut Beute entdeckt und würde weitere anlocken, aber das war Markus egal. Der Schuss würde das sowieso tun. Er betätigte den Abzug. Mehrfach. Mit Gleichgültigkeit schoss er dem Infizierten ins Gesicht. Selbst als die Kugel abgefeuert war, klickte die Walther danach noch einige Male. Friss das! Markus blickte der Kleinen ein letztes Mal in die Augen und sah, dass auch sie bald Teil ihrer Armee werden würde. Nachdem er sich sicher war, dass kein weiterer Infizierter aus dem Fenster der Etage kletterte, stieg er zu dem Mädchen hinab und brach ihr, den Blick von ihr abgewandt, das Genick. Ein letztes Mal blickte er dem Mädchen in die Augen. Sie waren nicht so grau und tot wie er gedacht hatte. Lag wohl an der Entfernung und dem Adrenalin. Sein Blick konnte sich nicht von ihren Augen abwenden. Sie hatten eine ungewöhnlich braune Farbe. Wenn er es nicht besser wusste würde es behaupten sie waren bernsteinfarben. Er verabschiedete sich im Stillen von ihr, warf einen flüchtigen Blick durch das Fenster aus dem er vorher ebenso gestiegen war und dann ging er resignierend langsam zurück zu seinem Rucksack. Als er vor ihm stand und die Pistole wieder dort verstauen wollte, hielt er inne. Er betrachtete die Walther einen Moment. Er war sich bewusst, dass er seine persönliche Exit-Strategie für ein Mädchen geopfert hatte, dass sowieso dem Tode geweiht war. War es Gerechtigkeit? Vielleicht. Unterdrückte Emotionen? Definitiv. Ein Exempel, das er an einem dieser Dinge statuierte? Gut möglich. Markus wusste es nicht. Er starrte nur die Schusswaffe an. Und er hatte das Gefühl, dass mit Abfeuern der Kugel auch der letzte Rest seiner Menschlichkeit gegangen war. Er war jetzt in gewisser Weise genauso wie diese Dinger. Nur hatte er noch seinen Verstand. Aber da war er sich auch nicht mehr vollends sicher. Plötzlich hatte er wieder diese Lichtblitze im Kopf. Diesmal schmerzte sein Kopf davon. Er sah das kleine Mädchen und sie versuchte ihm etwas mitzuteilen, nur verstand er nicht was. Sie tippte sich auf die Stirn und sagte etwas. Markus schüttelte den Kopf. Er musste sich zwingen wieder in die Realität zu kommen. Noch bevor diese Eingebung verblasste, schüttelte das Mädchen den Kopf. Dann riss sie den Mund auf und schrie. Zeitgleich hörte Markus einen Schrei, der ihm selbst nach allem was er erlebt hatte, das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es schien so als kam der Schrei von dort unten. Aller Umstände, die in ihm den Fluchtreflex auslösten, zum Trotz schaute er hinab zu der Stelle, an der das Mädchen gelegen hatte: sie war verschwunden!
Markus blendete alles aus. Er wollte nur noch in Sicherheit gelangen. Er zitterte. Mit Schultern seines Rucksacks ging er zu der Stelle, an der er den Sprung auf das benachbarte Gebäude wagen wollte. Der Wind drehte sich und er hörte die aufgebrachte Meute unten durch die Straßen und Gassen strömen. Dies verstärkte seinen Unmut nur noch. Es mussten Hunderte gewesen sein. Markus erschauderte, als hätte der Wind ihn zum Frösteln gebracht. Doch es war die Vorstellung. Was wenn er den Sprung nicht schaffte und ihnen entgegen fiel? Selbst wenn er den Sturz überleben würde, wäre das lediglich ein Hinauszögern seiner verbleibenden Lebenszeit. Ihm blieb keine Wahl. Sterben würde er sowieso irgendwann. Und am schnellsten geschah das, wenn man nicht in Bewegung blieb. Sein Aufenthalt in dem Zimmer war da nicht besser. Viel länger dort und das Ergebnis wäre dasselbe gewesen. Das war es immer. Ausnahmslos. Jetzt war er allerdings rausgekommen. Die Luft tat gut. Wenngleich auch Rauch und ein metallischer Duft sie durchzog. Allemal besser als das stickige und modrige Apartment drei Etagen tiefer. Markus hatte Angst. Er blickte ein letztes Mal an die Stelle wo die Leiter war und beschloss dann nicht länger zu zögern. Er nahm Anlauf und überlegte kurz, ob er sich noch aufwärmen sollte. Doch schob er diesen Gedanken beiseite, da er vor nicht einmal einer halben Stunde bereits das beste Workout hinter sich gebracht hatte – dem Davonsprinten einer Horde Infizierter.
Er rannte los. Jetzt nichts falsch machen, dachte er sich. Kurz darauf befand er sich in der Luft und merkte sofort, dass er wohl zu früh abgesprungen sein musste. Die Landung würde hart werden und ein paar Blessuren hinterlassen. Abrollen war Pflicht, wenn er sich keinen Bruch zuziehen wollte. Und selbst dann war er nicht davor gefeit. Immerhin ging es drei Meter in die Tiefe. Das Vorhaben grenzte an Lebensmüdigkeit. Selbst wenn er heil auf der anderen Seite ankommen würde, wusste er noch immer nicht, ob das Gebäude ihm eine Möglichkeit bot zu entkommen, geschweige denn seine Vorräte aufzufüllen. Und nach der Aktion mit dem Schuss sind sowieso alle erdenklichen Dinger in heller Aufruhr. Mit Sicherheit waren einige Vertreter auch in dem dortigen Gebäude, wenn nicht sogar direkt hinter der Tür zum Dachgeschoss. Sie würde auf ihn warten und das war es dann. Aber vielleicht auch nicht und gerade deswegen musste er es versuchen. Die Landung verlief mehr oder minder glimpflich. Beim Abrollen hatte er sich das rechte Handgelenk verdreht und der Schmerz ließ nicht lange auf sich warten. Markus machte ein schmerzerzerrtes Gesicht und stöhnte auf. Das Handgelenk sollte er jetzt erstmal ein paar Tage schonen. Soviel zur Theorie. Die Praxis zeigte jedoch meist, dass das nicht so einfach möglich war. Schließlich benötigte er für einen ordentlichen Schlag mit dem Baseballschläger beide Hände. Das konnte er jetzt wohl knicken. Doch abgesehen davon hatte er Glück, denn sonst war er ohne größere Verletzungen davongekommen. Beim Aufrichten blickte er zurück von dort, wo er gesprungen war. Ihm kam erneut der Gedanke an das kleine Mädchen, für das er nichts hatte tun können. War sie überhaupt das wofür er sie hielt? Denn was ihm im Zusammenhang mit ihr passiert ist, lies ihn zweifeln. Er war mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem er nichts mehr verstand. Er ließ den Gedanken gewähren und hoffte, dass er rasch vorbeiziehen würde. Dann widmete er sich wieder seiner neuen Ganztagsbeschäftigung – überleben. Das Dach war sauber und auch von der Tür zum Dachgeschoss kamen keinerlei Geräusche. Ein Griff an den Knauf der Tür mit der rechten Hand ermahnte ihn erneut an das Ergebnis seines Stunts. Das würde ein Problem werden und das wusste er. Markus biss die Zähne zusammen und nahm den Baseballschläger in die linke Hand. Die Tür war nicht abgeschlossen. Vorsichtig öffnete er sie. Und wider Erwarten quietschte sie nicht. Die Tür war verdammt gut in Schuss und das war ihm suspekt. Erst das Mädchen und dann eine Tür, die sich öffnen lässt, als wäre sie gestern geölt worden. Irgendwie hatte er die Vermutung, dass da ein Zusammenhang bestand. Vielleicht aber auch nicht. Die Tür war nun komplett geöffnet und präsentierte einen dunklen Abstieg. Die alles verschlingende Dunkelheit ließ Markus erneut erschaudern. Doch wusste er dagegen vorzugehen, indem er seine Taschenlampe aus dem Rucksack kramte – ein Auge stets auf das dunkle Unbekannte gerichtet.
Dann hörte er es. Ein leises Wimmern kam von dort unten. Hastig durchleuchtete er mit der Taschenlampe die Dunkelheit, aber er konnte nichts Auffälliges ausmachen. Hatte er sich das eingebildet? Er war mittlerweile kaum mehr sicher, ob er mehr seinen Augen oder seinen Eingebungen vertrauen sollte. Dann begab er sich die Treppe hinunter und leuchtete jeden Winkel der Etage ab. Er war perplex. Hier war nichts dergleichen vorzufinden was auf das jüngste Gericht dort draußen hätte schließen lassen. Die gesamte Etage wirkte bewohnt, aber es war niemand zu sehen. Das Wimmern war ebenfalls verschwunden. Wohl doch Einbildung, dachte er. Gerade wollte er ein Hallo in den Raum werfen, da zögerte er. Da beim letzten Laut, den er von sich gab, die Hölle losbrach, ließ er es bleiben und entschied sich stattdessen im Stillen weiterzumachen. Sein Handgelenk schmerzte. Selbst die Taschenlampe war auf Dauer zu viel Belastung dafür. Abgelenkt durch den Schmerz bemerkte Markus nicht, dass vor ihm die letzte Tür am Ende des Ganges aufging und eine Frau in einem Laborkittel, der wohl auch schon bessere Tage gesehen hatte, in den Etagenflur trat. Sie bemerkte ihn sofort. Aber er sie nicht gleich. Erst als sie ein Flüstern von sich gab, reagierte Markus. Es rührte sich keiner der beiden. Beide waren wie eingefroren. Markus fiel auf, wie gepflegt sie aussah. Sie war etwas älter als er und sie wirkte sichtlich aufgebrach. Kein Wunder, denn schließlich stand ein Fremder vor ihr. Und das in einer Welt, in der sie wohl beide davon ausgegangen sind, die letzten Menschen zu sein. Noch bevor er reagieren konnte, rief die Frau schon nach Hilfe. Binnen Sekunden waren vier Männer in Reichweite, die, alle schwer bewaffnet, auf ihn zielten. Es war nicht das Militär. Sie hatten normale Kleidung an, doch die Gewehre waren definitiv Militärstandard. Laserpunktvisiere und Schalldämpfer. Was hätte er dafür gegeben auch so eine zu besitzen. Markus konnte es nicht fassen. Die Tatsache, dass er seit Beginn dieser Pandemie keine Menschenseele mehr gesehen hatte, überwog den Fakt, dass diese Leute womöglich feindselig sein konnten. Ich .. äh .. bin Markus. Hi?, stammelte er den Blick auf die Frau gerichtet. War er eigentlich bescheuert? Es konnte gut sein, dass er in Lebensgefahr schwebte und das sollte alles sein was er hervorgebracht hatte? Hände hinter den Kopf und auf den Boden legen!, befahl ihm eine raue Männerstimme. Markus leistete Folge. Er wusste nicht, wie er die Situation entschärfen konnte. Gleichermaßen froh wie zitternd vor Angst ließ er die Männer einfach ihr Ding machen. All das war zu viel für ihn und er merkte, dass alles schwerer wurde. Dann erinnerte er sich an die Kleine von vorhin. Gehörte das kleine Mädchen zu euch?, fragte er auf dem Boden liegend, während seine Hände hinter dem Rücken mit einem Kabelbinder zusammengebunden wurden. Er versuchte einen Blick zu erhaschen und konnte gerade noch sehen, wie die Frau im Laborkittel die Augen aufriss bevor sein Körper dem Stress und der Angst erlag und alles schwarz wurde.
apocalypse survivor dystopia Referenz
11
6
Tag 11 und keine Änderung in Sicht, dachte sich Markus. Er hatte die falsche Entscheidung getroffen. Zumindest fühlte es sich genau danach an. Ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, ob das Wort Pechsträhne seit dem Zwischenfall vor vier Monaten denn noch Bedeutung hatte, oder ab da einfach als neuer Standard galt. Denn seitdem widerfuhren ihm in den seltensten Fällen gute Dinge. Und nun saß er hier in einem muffigen Apartement im zweiten Stock, hoffend, den kommenden Sonnenaufgang erleben zu dürfen.
Markus wurde belagert. Ob es zwei oder drei Dutzend von ihnen waren, konnte er nicht genau sagen. Was er allerdings zweifelsfrei sagen konnte, war die Tatsache, dass er nicht nur mehr als hoffnungslos in der Unterzahl war, sondern auch noch unterbewaffnet: ein Aluminium Baseballschläger, der auch schon bessere Tage gesehen hatte und sich wohl nie hätte ausmalen können, dass er eines Tages zahlreiche Schädel würde einschlagen müssen, und eine Walther P99 mit einer letzten Kugel. Sozusagen als Plan B. Seine eigene Exit-Strategie, wenn nichts mehr half. Doch das Verzwickte daran war, dass er nie wirklich mit Sicherheit sagen konnte, ob es das jetzt wirklich gewesen war. So war es bisher schon fünf Mal gelaufen. Aller guten Dinge sind 6, dachte er sich und betrachtete das getrocknete Blut an seinem Baseballschläger. Wie viele es wohl mittlerweile gewesen sind? Er hatte irgendwann aufgehört zu zählen. Es waren einfach zu viele von ihnen. Er wandte den Blick ab in Richtung Rucksack und er driftete wieder mit den Gedanken ab. Diesmal jedoch, fing er sich wieder und schob diese Eigenart in weite Ferne. Er fand es seltsam, jedoch war dies wohl ein Leiden der neuen Umstände. Manchmal sah er auch kurz Dinge, die er nie erlebt hatte. Waren es Wunschvorstellungen, um der Realität zu entfliehen? Nein, denn selten sah er frohe Dinge in diesen Eingebungen. Viel mehr glich es als würde er kurzweilig mit den Augen eines anderen sehen. Und das beunruhigte ihn. Es fing alles mit dem ersten Mal Glück gehabt an, als dieser verwesende Penner ihm viel länger viel zu nahe kam, als Markus lieb war. Und das skurrile daran war, dass er eine verdächtig lange Weile Augenkontakt mit Markus hielt. Er schüttelte den Kopf, als wollte er sich selbst mit physischem Nachdruck in die Realität katapultieren.
Markus musste sich ablenken. Er beschloss eine Inventur vorzunehmen. Zugegeben war das nur bedingt hilfreich, denn seine Vorräte waren bedrohlich zur Neige gegangen. Und er rationierte diese schon. Er hatte eine Tüte alter Salzcracker, die vor zwei Monaten abgelaufen waren und nicht viel mehr als einen Spuckrest Wasser. Abgestanden. Modrig im Abgang. Die perfekte Mischung für seine Situation. Er seufzte schwer. Markus vermisste den Luxus, den so ziemlich jeder Mensch der modernen Welt genossen hat: einfach in den Supermarkt gehen, sich aussuchen was man haben wollte oder benötigte, der Kassenkraft das Geld übergeben und ihr manchmal sogar einen schönen Tag wünschen und dieses Problem war gelöst. Mit einer Leichtigkeit, dass es schon fast unheimlich war. Erstmal zu Penny, schoss es aus ihm hervor und er ertappte sich dabei, wie er das erste Mal seit langem lachen musste. Ganz im Stillen, denn er war sich seiner Lage nach wie vor bewusst. Markus war ganz und gar nicht das, was man aus Endzeitfilmen und -spielen kannte. Im Gegenteil. Er war nicht vorbereitet auf das, was kam. Genauso wenig waren es die meisten anderen Menschen. Und einer der Gründe warum er noch immer am Leben war, lag nicht daran, dass er stets Herr der Lage oder perfekt ausgerüstet war. Nein, vielmehr war es immer ein Fünkchen Glück, dass ihm aus der Patsche half. Markus war nicht gut gebaut oder Sunnyboy gutaussehend. Er war eher hager und das was man damals umgangssprachlich wohl einen Computermenschen genannt hätte. Zwar hatte er nicht unbedingt die besten körperlichen Voraussetzungen für diese neue Welt, aber all das machte er durch seinen Verstand wieder wett. Neben Glück bewies er stets Einfallsreichtum. Doch jetzt war er wirklich ratlos. Er war jetzt schon seit elf nervenaufreibenden Tagen hier drinnen eingeschlossen. Der einzige Weg nach draußen führte an ihnen vorbei. Markus weigerte sich noch immer sie Zombies oder Untote zu nennen. Einfach aus Prinzip. Teufel, er wusste noch nicht einmal, wie genau das Ganze angefangen hat. Fakt war aber, dass ein Kratzer oder ein Biss reichten, Teil ihrer täglich wachsenden Armee zu werden. Ein Zombie-Film war nichts dagegen, denn sie waren viel gewiefter und agiler als die torkelnden Leichen, die man sonst kannte. Aber was am meisten hervorstach, waren ihre schwarz-roten Augen. Ja sie zierten förmlich die Aggressivität, mit der sie ihre Beute durch die Blocks hetzten. Manchmal hatte er sogar das Gefühl, dass ihnen weitaus mehr innewohnte als sie durch ihre Verhaltensweise vermuten ließen.
Immerhin hatte er das Glück seine Familienangehörigen nicht töten zu müssen – zumindest nicht so. Das hatte bereits ihr Nachbar getan. Kein Akt der Gnade. Vielmehr war er infiziert und sie in ihrer Wohnung zu laut. Er vermisste seine Mum und seine Schwester. Einen Vater hatte er nicht. Zumindest existierte er für ihn nicht mehr als solcher. Als seine Mum gebissen und seine Schwester voller Panik zu ihr rannte, um ihr zu helfen, war sowieso alles zu spät. Bei dem Versuch ihn von ihrer Mutter zu ziehen wurde auch sie gebissen. Markus suchte hastig nach einer Waffe und griff dann zum Schürhaken. Dann schlug er seinem Nachbarn den Schädel ein und fand sich anschließend in einem Blutbad wieder. Seine Mum inzwischen verstorben und seine Schwester bereits gebissen. Er hatte schon befürchtet sie erlösen zu müssen, doch dann erlag auch sie ihren Verletzungen. Noch nie hatte er so viel Blut gesehen. Also ging er in die Küche und holte eines der Küchenmesser. Er zögerte kurz, doch wusste er, dass es sein musste. Er wollte nicht, dass sie sich verwandelten. Ich liebe euch, verabschiedete er sich. Zehn Minuten später lag das mit dem Blut seiner Mum und dem seiner Schwester getränkte Küchenmesser auf dem Boden und Markus war mit dem Nötigsten an Habseligkeiten auf dem Rücken zur Hintertür raus. Manch einer hätte ihn dafür verteufelt, dass er seine Familie einfach so und nach dieser unmittelbar kurzen Zeit zurückgelassen hatte, doch wusste Markus, dass die Wahrscheinlichkeit ihr Schicksal zu teilen mit jeder Minute größer wurde. Jetzt war er ganz allein und hatte seitdem auch keine andere lebendige Seele mehr gesehen. Entweder versteckten sie sich genauso wie er oder aber – und das ist vielleicht sogar wahrscheinlicher – er ist wirklich der einzige Überlebende.
Markus Reaktion auf diesen Gedanken äußerte sich in Form von einer Träne, die seine linke Wange herunterlief. Er vermisste sie schrecklich und doch war er froh, dass er nicht völlig abgestumpft war. Er verweilte kurz in diesem Moment, dann verstaute er die Erinnerungen wieder in seinem geistigen Archiv, wischte sich die Träne ab und stand auf. Wenn er schon sterben musste, dann nicht kampflos. Ihm kam die Idee, dass zwar das Erdgeschoss belagert war, nicht jedoch der Dachbereich. Von dort konnte er es vielleicht auf ein benachbartes Gebäude schaffen. Nachdem er alles beisammen hatte und bereit für diesen Versuch war, lauschte er an der Apartment Tür. Nichts. Kein Stöhnen, nur das Knarren der Bodendielen. Vorsichtig öffnete er die Tür zum Treppenhaus des vierstöckigen Gebäudes. Die wenigen Sonnenstrahlen, die durch die verbarrikadierten Fenster einfielen, zeigten, dass mit Ausnahme von ihm schon sehr lange keiner mehr hier gewesen sein musste. Der Staub in der Luft war gut sichtbar und Markus dachte kurz, dass ein längerer Aufenthalt ihm wohl eine Staublunge bescheren könnte. In diesem Fall wären Hustenanfälle und Atemnot seine ständigen Begleiter. Beides für sich schon Todesurteile in dieser Welt, musste man doch Ausdauer und leises Verhalten besitzen. Er schob den Gedanken beiseite und setzte sich leise in Bewegung. Dann hielt er inne. Noch immer war kein Geräusch zu hören. Als wäre die Welt leer oder er während seines fünf Sterne Aufenthaltes in dem muffigen Apartment taub geworden. Er gab ein kurzes Zischen von sich, um ganz sicher zu gehen. Er war nicht taub. Also musste es die Welt sein, die nun von Leere erfüllt ist. Markus leuchtete in Richtung der direkt begehbaren Stockwerke über und dann unter sich. Eine kluge Entscheidung, denn oben schien es sicher zu sein. Von den Stockwerken unter ihm konnte man das nicht behaupten, denn er leuchtete direkt in die Augen von mindestens einem Dutzend dieser Dinger. Und ihre Blicke schienen ihn zu durchbohren. Im Bruchteil einer Sekunde sprintete er zu den Treppen, die in das dritte Stockwerk führten. Mit dem Gekreische, dass nur erahnen ließ welcher Schrecken im auf den Fersen war, leuchtete er hastig die Etage ab, hoffend, nicht auf noch mehr von diesen Gestalten zu treffen. Glück gehabt, denn die Etage war mit Ausnahme von ein paar Mäusen nicht bewohnt. Ein flüchtiger Blick nach unten zeigte, dass er schätzungsweise noch zehn Sekunden hat, bis sein Gefolge die Zähne in ihm versenkt haben würde. Er hechtete zu den Treppen, die in die vierte Etage führten und von dort aus ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen zu treffen direkt die Stufen zum Dachbereich hoch. Abgeschlossen. Fuck!, brach es ungezügelt aus ihm hervor. Nur die Ruhe, Markus. Du hast noch ungefähr 15 Sekunden bevor sie dir den Arsch abkauen!, dann rannte er die Treppen zur vierten Etage zurück und trat die Tür eines der äußersten Apartments ein, leuchtete in die Wohnung und betrat diese. Jetzt hatte er nicht mehr die Zeit für extreme Vorsicht. Entweder er handelte jetzt oder das war es. Er lehnte leise die Tür an und huschte eilig zum Küchenbereich. Er hoffte, dass dieses Apartment eine Feuerleiter zum Dach besaß und wieder einmal hatte er Glück – teilweise. Die Leiter sah doch recht danach aus, als wäre sie perfekt für Lebensmüde gedacht: fast vollständig aus Rost bestehend. Markus legte kurz die Hände ins Gesicht als wolle er nicht glauben was für ein Humor das Schicksal besitzt. Dann seufzte er und wusste, dass es nichts half.
Mit der Illusion einer Wahl packte griff er nach der Feuerleiter und rüttelte kurz aber ruckartig daran. Er musste es versuchen. Hinter sich hörte er die aufgebrachten Dinger und sie kamen schnell näher. Jetzt oder nie!, dachte er sich und griff nach der Feuerleiter. Sie hielt – noch. Er nahm jede zweite Sprosse, um den Aufstieg schnellstmöglich hinter sich zu bringen. Auf dem Dach angekommen blickte er hinab von dort, wo er gekommen war. Die Infizierten fielen wie Lemminge einer nach dem anderen in die Tiefe. Markus atmete erleichtert auf. Scheiße noch eins. Das wird ja von Mal zu Mal knapper. Nachdem er kurz nach Fassung und Sauerstoff gerungen hat, überblickte er die neue Situation, in der er sich befand. Jetzt hatte er ein Problem. Das Gebäude war zwar von vier weiteren umgeben, jedoch fielen nur zwei davon in die engere Auswahl. Die anderen beiden waren zu weit entfernt als das man sie durch einen Sprung hätte erreichen können. Zugegeben waren die beiden Gebäude, die es in die engere Auswahl geschafft hatten auch nur bedingt besser. Eines davon war ungefähr zwei Meter entfernt, dafür aber auf gleicher Höhe wie das auf dem er sich gerade befand. Das Andere jedoch war ein Stockwerk tiefer und drei Meter entfernt. Er entschied sich letztlich für zweiteres und hoffte auf eine Landung ohne jegliche Brüche, Prellungen oder Blessuren. Letzteres war wohl doch eher Wunschdenken. Markus setzte sich erstmal und überdachte seine weiteren Schritte, sollte er es wirklich heil auf das Dach des gegenüber liegenden Gebäudes schaffen. Erst jetzt kam ihm der glorreiche Gedanke, dass es womöglich ein Fehler war zu zischen. Denn wie eine Einheit blickten sie alle zu ihm hinauf. Frischfleisch. Markus erschauderte bei dem Gedanken lebendig gefressen zu werden. Ein Glück, dass deren Motorik nicht für das Erklimmen von Leitern reicht, sonst wäre ich jetzt am Arsch., und genau in diesem Moment hörte er ein Geräusch von der Leiter kommen. Wie von der Tarantel gestochen sprang er auf und versteckte sich hinter einem der Belüftungsgeräte. Vorsichtig lugte er hervor, um ja nicht zu verpassen was die Sezenerie hergibt. Mit dem Baseball Schläger in Kampfstellung wartete er darauf, dass eines dieser Dinger seinen Kopf über den Dachrand schob. Doch war es ein kleines Mädchen von vielleicht 12 Jahren, dass die Leiter hochkletterte. Markus stand mit offenenm Mund da und wollte seinen Augen nicht trauen. Gerade als er sich wieder gefasst hat und dem Mädchen hoch helfen wollte, wurde sie herunter gezogen. Ein kurzer, in Blut gurgelnder Schrei und dann Stille. Markus stand fassungslos da.
apocalypse survivor dystopia Referenz
15
4
Da lag sie nun bewusstlos. Er schnitt ihr die Pulsadern längs durch, um ganz sicher zu gehen, dass selbst im Falle einer unerwarteten medizinischen Erstversorgung jede Hilfe zu spät kam, und drapierte ihren noch warmen aber nun leblosen Körper entsprechend so, dass alles wie ein klassischer Selbstmord aussah.
Mike ist 26, hat einen Kater namens Ashes und ist Student für Medizin. Allgemein lebt er eher für sich, denn sein Nebenjob lässt keine Beziehungen zu Menschen zu. Denn Mike beseitigt Menschen für Geld. Doch ist er nicht einfach ein Auftragsmörder, sondern hebt sich durch die Tatsache ab, dass er jeden Mord der gewünscht ist, wie einen Selbstmord aussehen lassen kann. Manchmal sind sie richtig brutal, so wie die Sache damals mit der Kettensäge, und manchmal fast schon liebevoll, wenn er jemanden in seinem Bett sterben lässt – Schlaftabletten Überdosis. Klassischer Selbstmord, hört er die Polizeibeamten schon fast sagen. Er spinnt den Gedanken weiter. Die Freunde würden allesamt sagen, dass er oder sie doch nie Anzeichen von Depression gezeigt hätte und sie dies nicht verstehen könnten. Manchmal ist die Faulheit der Justiz schon von Vorteil. Schwieriger war da doch der Kettensägenvorfall. Mike musste alles im Vorfeld planen. Exakter Zeitpunkt und Ort der Zielperson. Fallwinkel und plausiblen, rechtsmedizinischen Hergang des Unfalls. Auch musste er dafür sorgen, dass besagte Zielperson definitiv dabei umkommen musste – Fehler waren keine Option. Nun stand er über ihr und hielt kurz inne. Sie war wunderschön und er fragte sich einen kurzen Augenblick wer wohl ihren Tod wollte. Er verspürte etwas wie Mitleid. Vielleicht war es auch Reue, er wusste es nicht genau. Irrelevant, ermahnte er sich selbst. Nach allem was er gesehen hatte. Nach allem was er getan hatte. Er konnte sich keine Gefühle leisten und so schob er nochmals mit Nachdruck den Gedanken beiseite. Mit der Paranoia als hätte er gerade etwas verbotenes getan und wäre dabei beobachtet worden, fuhr er rasch mit seiner Arbeit fort. Er musste alles gründlich beobachten und durfte keine Beweise hinterlassen. Er musste ein Geist sein.
Mike ist in einem liebevollen Umfeld aufgewachsen und hätte sich wohl nie ausmalen können, Menschen für Geld zu beseitigen. Seine Eltern waren beide während eines Autounfalls umgekommen. Bei lebendigem Leib verbrannt.., hörte er den Polizeibeamten sagen, als man ihm und seiner Schwester damals die traurige Mitteilung überbrachte. Sie waren über das Wochenende weggefahren und wollten ihren 20. Hochzeitstag feiern. Zu diesem Zeitpunkt war er 14 und seine Schwester 20 Jahre alt. Er hasste den Kerl, der der Justiz angehörte dafür, dass er das gesagt hatte aber gleichzeitig war er ihm irgendwie dankbar für die Klarheit über die Umstände. Mike's Schwester war eher vom klassischen Typ und interessierte sich null für ihren Bruder. Alles in ihrem Leben drehte sich um Instagram, Jungs und Party. Nach dem Unfall wurde sie sowieso instabiler. Er wohl auch. Die psychologische Hilfe, die beide bekamen, half nicht im Geringsten. Sie war zwar 20 aber verhielt sich geistig oft noch jünger als er selbst. Dennoch beschloss sie für ihn zu sorgen. Er mochte sie nicht. Es war mehr ein familiäres Tolerieren. Irgendwie war er froh, als sie einfach verschwand und er in ein Heim kam. Dort ging es ihm zwar nicht besser, aber er hatte seine Ruhe. Anfangs musste er zwar einigen seiner Mitbewohner Respekt beibringen, aber von da an hatte er einen geregelten Tagesablauf und seine Ruhe. Und ihm kam es sehr gelegen, sich emotional von seinen Mitmenschen zu lösen. Er legte viel Wert auf die schulische Bildung, die er erhalten hatte, baute sich mit 18 ein eigenes Leben auf und begann irgendwann mit dem Medizinstudium. Eines Tages begegnete er dann Ashes. Ein verlauster Straßenkater, der von anderen Katzen drangsaliert wurde. Er wusste selbst nicht, warum er ihm half und ihn dann mitnahm, um für ihn zu sorgen. Vielleicht war es doch Empathie. Vielleicht sah Mike aber auch nur sich selbst in dem obdachlosen Fellknäuel. Ashes hatte es gut bei Mike. Zumindest deutlich besser als vorher. Ab und an bekam er sogar Streicheleinheiten. Ansonsten gingen beide getrennt voneinander ihren täglichen Routinen nach.
Ein kurzer, letztmals prüfender Blick, ob jegliche Rückschlüsse auf ihn ausgemerzt waren und dann verließ er das Apartment der jungen Frau. Der wohl schwierigste Teil lag darin, sich selbst in die jeweilige Zielperson hineinzuversetzen. Man musste die Person selbst werden. Sich sogar Gründe und Ursachen ausdenken, die den Selbstmord rechtfertigten und das eigene Handeln danach ausrichten. Die sorgfältige Planung setzte dies zwangsläufig voraus, wollte man diesen Beruf langfristig ausüben. Er schloss leise die Tür zu ihrem Apartment hinter sich und atmete auf. Wieder ein Auftrag erfolgreich durchgeführt, dachte er sich. Es war nicht so, dass er Menschen hasste oder verabscheute, doch war er der festen Überzeugung, dass sie oftmals Teil des Problems und nicht der Lösung waren. Sowohl im Hinblick auf das Gesamtbild als auch dessen des Individuums. Er setzte sich in Bewegung und verließ den zweiten Stock, dann den ersten. Dann ging er unauffällig durch den Haupteingang im Erdgeschoss. Er prüfte seinen Kontostand per Handy und bemerkte den Betrag, der ihm direkt überwiesen wurde. Dieser Beruf ruinierte Leben. Doch ermöglichte ihm seines. Zugegeben hatte er seitdem deutlich mehr Geld als er allgemein ausgab. Doch ist dies kein Beruf, dem man irgendwann einfach kündigen kann. Er stellte sich nie die Frage, ob es das wert war. Es geht hierbei nicht um das Stellen von Fragen. Das hatte er schnell begriffen, als damals der erste Anruf kam und man ihm Dates und Jobs an vereinbarten Stellen zu entsprechenden Zeiten übergab. Die Bezahlung war gut und immer überraschend schnell mit Erledigen eines dieser Jobs oder Dates überwiesen. Er wusste bis heute nicht wer dahinter steckte und wie sie wussten wann jede Tätigkeit als erledigt galt. Und er hinterfragte es nie.
Ashes wartete bereits an der Tür auf ihn. Ein Verhalten, das man eigentlich nur von einem Hund kennt. Schließlich heißt es ja nicht umsonst, dass Katzen Personal und Hunde Besitzer haben. Vielleicht war es auch nur die Dankbarkeit, die ihm für seine Rettung galt. Er begrüßte Ashes und machte ihm sein Fressen. Während Ashes sich direkt darüber hermachte, beobachtete Mike ihn. Wie er sein Herrchen wohl sah? Wusste er, dass er ein kaltblütiger Mörder war? Im Prinzip war Ashes das ja auch. Schließlich war er ein Raubtier. Noch eine Ähnlichkeit, die sie gemeinsam hatten. Nur waren die Beweggründe unterschiedlich. Sein Handy klingelte und er wusste sofort was Sache war. Eine Stimme, die gerade so erahnen ließ, dass sie verzerrt war, sprach: Guten Morgen, Herr Davis!, natürlich nicht sein echter Name. Stieglitz vom Hotel Abendröte. Ich rufe an wegen der Stelle als Rezeptionskraft für die sie sich beworben haben. Könnten sie heute Abend um 17:30 Uhr an der Waldallee 34 eintreffen? Ihre Arbeitskleidung erhalten Sie im dritten Obergeschoss in Zimmer 314. Sie werden von zwei Kollegen erwartet, die Ihnen eine kurze Einweisung geben werden. Die Bezahlung erfolgt natürlich übertariflich und wird sofort ausbezahlt. Passt Ihnen das zeitlich, Herr Davis?, Mike sagte nichts. Nach einer kurzen Pause antwortete die Person am anderen Ende der Leitung mit Wunderbar!, und legte auf. Natürlich war das keine Stellenanzeige auf die er sich beworben hatte. Und es war auch keine wirkliche Frage, ob ihm dies zeitlich passe. Es war ein neuer Auftrag, der lediglich Informationen übermittelte. Uhrzeit und Ort. Die Zimmernummer und die beiden Kollegen gaben ihm Aufschluss darüber, dass es sich hierbei um zwei Zielpersonen handelte, die sich wohl in einem Hotelzimmer im dritten Stock aufhielten. So läuft das ab. Das Problem war nicht die Uhrzeit oder der Ort. Sondern die Tatsache, dass er bereits jetzt vor Ort mit der Planung beginnen musste. Er musste herausfinden wer und vor allem wie diese Personen waren und entsprechende Vorbereitungen treffen. Bisher hatte er nie einen Auftrag bekommen, der so kurzfristig erledigt werden musste. Aber die übertarifliche Bezahlung gab an, dass es sich hierbei um mehr als das Doppelte von dem was er regulär bekam handelte – und er bekam Summen im dreistelligen Bereich. Es kostet eben entsprechend, wenn man sich auf Selbstmorde spezialisiert hat. Noch bevor Ashes mit Fressen fertig war, war Mike auch schon wieder zur Tür raus.
Er beobachtete das Zimmer vom Dach eines gegenüber liegenden Gebäudes. Er sah einen Mann und eine Frau. Der Mann würde wohl das größere Hindernis werden, wirkte er doch recht selbstbewusst und taff. Muskelbepackt und braungebrannt. Mike zog vorab einen Pärchenselbstmord durch exzessiven Drogenkonsum in Betracht. Doch musste er sich zuerst sicher sein, ob beide in dieser Konstellation zueinander standen. Theoretisch wäre es auch ohne eine solche Beziehung zueinander möglich gewesen, doch musste die Frau hierfür als Prostituierte bekannt oder tätig sein. Und das war sie wohl nicht. Er sah sie generell gar nicht. Mike wartete. Langsam wurde es kalt aber er hatte vorgesorgt. Oberste Regel in diesem Geschäft: sei niemals und unter gar keinen Umständen unvorbereitet. Dies schloss neben der eigentlichen Durchführung eines Jobs ebenso die Planung, Vorbereitung und Beobachtung mit ein. Dann, nach ungefähr einer halben Stunde, sah er sie und wenngleich er keine Miene verzog, machte sich kurz innere Unruhe in ihm breit und das erstaunte ihn fast noch mehr als die Erkenntnis, dass es unter fast 7 Milliarden Menschen seine Schwester sein musste, die er töten sollte. Doch er würde herausfinden, wer den Tod seiner Schwester wollte und warum. Wenigstens das war er ihr schuldig. Jedoch machte es das Ganze nur noch schwieriger. Fremde zu töten war eine Sache. Aber Familienangehörige? Dennoch durchaus möglich, wenn man von der Tatsache absah, dass die Justiz ihn dann automatisch mit auf dem Radar hätte. Familienangehörige und Freunde werden fast ausnahmslos mit in Betracht gezogen. Und da er generell in diesem Land wohnte, würde er mit Sicherheit ebenso Besuch bekommen. Er würde seine Schwester töten. Dieser Fakt nagte seltsamerweise kaum an ihm. Er mochte seine Schwester nie und sie hatte ihn im Stich gelassen, aber damit hatte sie ihm einen Gefallen getan. Ehrlich gesagt würde er diesen Gefallen dadurch erwidern, dass er es schnell machen würde. Ob sie ihn in den letzten Sekunden erkennen würde? Sollte er sein Gesicht verdecken oder fair genug sein zu seiner Tat zu stehen? Dies würde er spontan entscheiden. Jedenfalls wusste er nun, dass dieser Kerl ihr Stecher sein musste. Und ebenso wusste Mike, dass er nun deutlich besser sein musste als er sowieso schon war. Dies war seine Feuertaufe. Der ultimative Beweis sein Können unter Beweis zu stellen. Alles Vorangegange war Kindergarten im Vergleich dazu ein Familienmitglied zu töten, es wie ein Selbstmord aussehen zu lassen und sich selbst ein wasserdichtes Alibi zu verschaffen. Mike kratzte sich am Kopf. Er war ehrlich zu sich. Er wollte die Situation ganz und gar nicht unterschätzen. Die Wahrscheinlichkeit war höher als hoch, dass dieses Unterfangen scheitern würde. Doch er musste es versuchen. Es gibt kein Zurück. Das gibt es nie. Friss oder stirb.
Die Herangehensweise mit dem exzessiven Drogenkonsum war eine Möglichkeit. Ihm kam allerdings noch die Idee, sie zu erschießen und es so aussehen zu lassen, als wäre es der Gorilla in ihrem Beisein gewesen. Anschließend habe er sich selbst gerichtet. Dennoch sind dies spekulative Möglichkeiten. Letztlich mussten sie zu dem Wesen der Person passen. Und letztere Möglichkeit war alleine wegen der nach sich ziehenden Aufmerksamkeit eher suboptimal. Seine bisherigen Beobachtungen ließen folgende Schlüsse zu: der Gorilla war recht selbstbewusst und wirklich äußerst auf seinen Körper bedacht. Dies machte Mike an seinen regelmäßigen Begutachtungen vor dem Spiegel fest. Drogenkonsum war hier eher unwahrscheinlich aber letztlich dennoch möglich. Seine Schwester war da eher lockerer. Er kannte ihr Verhalten von früher, aber dennoch musste er sich ganz sicher sein, dass sie sich vielleicht nicht doch verändert hatte. Schließlich sind seitdem 12 Jahre vergangen. Dennoch hatte das was er von ihr kannte nur geringe Abweichungen im Vergleich zu heute. Sie wirkte nicht mehr so selbstbewusst und hatte mittlerweile eher eine dezent zurückhaltendere Art. Kein Wunder bei dem Gorilla. Einschüchtern würde er wohl auch ihn im offenen Kampf. Mike bemerkte, dass seine Schwester anfing Essen zuzubereiten. Das war es. Ihm kam die Idee, dass doppelter Selbstmord auch anders ablaufen könnte. Sie mischte ihm Rattengift ins Essen, weil er wohl nur noch Augen für sich und andere Frauen hatte und er entschied sich im Angesicht des Todes sie mit sich zu nehmen, indem er sie aus dem Fenster warf. Seine Schmerzen würden ihm das Gleichgewicht nehmen und ihn kurz darauf ebenso aus dem Fenster stürzen lassen. Groß genug war es allemal. Und die Bauart war ebenso von Vorteil, da es sich vom Boden aus gesehen ungefähr auf Kniehöhe eines durchschnittlich großen Menschen befand. Gab es Beweise dafür, dass er fremd ging? Kerle wie er hatten meistens weitere Liebschaften und es ist nur eine Frage der Zeit wann das herauskommt. Es würde ihre kläglich kaschierte Unsicherheit untermauern. Als hätte sie den Verdacht seit längerem, beobachte die Situation allerdings erstmal, da sie keine handfesten Beweise hat. Dennoch zieht es sie herunter und äußert sich in ihrer Unsicherheit.
Mike hatte alles was er brauchte. Er musste sich lediglich Gedanken darüber machen wie er den Gorilla beim Erstkontakt möglichst leise außer Gefecht setzte. Eine vorgehaltene Waffe würde wohl reichen. Alternativ klopfte er gegen die Tür, versteckte sich neben dem Zimmereingang bis der Muskelprotz mit dem Kopf herausschaute, sich wundernd weil niemand vor der Tür stand, und würde ihn dann mit einem ordentlichen Schlag auf die Halsschlagader ins Land der Träume schicken. Mike brach alle Zelte auf dem Dach des Gebäudes ab und machte sich auf den Weg. Er musste vorbereitet sein und das Beobachten war nur der erste Schritt. Es musste alles nach Plan laufen und jede Abweichung konnte ihm sprichwörtlich das Genick brechen. Er hatte beispielsweise immer noch keine Ahnung wie er sich das Alibi beschaffen sollte. Er musste zum Zeitpunkt des Tatherganges gänzlich woanders sein. Es half alles nichts. Er musste einen seinen Kommilitonen involvieren ohne das dieser etwas merkte. Und Mike wusste bereits wie er das anstellen würde. Es klingelte an der Tür und Jorgen machte kurz darauf auf. Mike? Was machst du denn hier?, fragte er. Du wolltest mir doch deine Notizen der letzten Vorlesung geben., log Mike. Wollte ich? Ah, ja. Wollte ich!, gab er mit einer Sicherheit zu, von der man nicht bemerken würde, dass sie gelogen war, wenn man es selbst nicht besser wüsste. Es war kein Geheimnis: Jorgen zog fast schon regelmäßig einen durch und auch so war er sehr retro eingestellt: kein Handy, heruntergekommene Wohnung mit spärlich eingerichtetem Mobiliar und allgemein allem was so an früher erinnert. Sein regelmäßiger Cannabiskonsum sorgte dafür, dass er oftmals Dinge vergaß. Und die Umstände, dass er kein Handy besaß machten es Mike fast schon zu einfach. Komm doch rein!, forderte er Mike auf. Mach's dir bequem, ich hol schnell die Unterlagen., doch als er im Nebenzimmer verschwand, begab sich Mike zu der Uhr im Wohnzimmer und stellte die Uhrzeit auf 17:30 Uhr. Dann ging er in die Küche und wiederholte dort dasselbe. Jorgen hatte nicht viele Uhren, kein Handy und war allgemein oft neben der Spur. Wenn die Polizei ihn befragen würde, würde er bestätigen, dass Mike zur Tatzeit bei ihm gewesen ist. Allerdings musste er später die Uhren wieder zurückstellen, da sonst Verdacht aufkommen könnte. Als Jorgen zurückkam, war Mike bereits wieder im Flur. Hier ist der Kram, Mikey!, witzelte Jorgen. Nenn' mich nicht so. Und danke für die Unterlagen. Werde sie kopieren und dir übermorgen wieder bringen., entgegnete Mike. Dann fragte er ihn, wie viel Uhr es denn gerade ist, da er noch Katzenfutter für Ashes besorgen wollte. Ah, ja es ist.., er warf einen Blick ins Wohnzimmer, eeeeeexakt 17:35 Uhr!, antwortete er. Danke, Jorgen. Ach und du solltest den Kram hier nicht unbedingt offen liegen lassen, wenn du verstehst., er deutete auf die Bong, die wohl noch gut gefüllt auf dem Garderobenregal stand. Jorgen hatte wohl direkt vor seiner Ankunft etwas geraucht. Geht klar, Mikey. Was immer du willst., kicherte er. Mike musterte ihn zum Abschluss kurz, dann verabschiedete sich und machte sich auf den Weg nach Hause.
Alles war vorbereitet. Die Schergen des Gesetzes würden ihm gar nichts anlasten können. Dafür hatte er gesorgt. Nun stand er am Eingang des Hotels. In 10 Minuten ging es los. Er atmete tief ein, zählte bis fünf und atmete wieder aus. Dies wiederholte er einige Male. Mentale Vorbereitung. Er ging hinein und nahm direkt den Aufzug zum dritten Obergeschoss. Die Rezeption war gut besucht, also fiel er nicht auf. Kein Problem, dem man hätte entgehen müssen, da dies eines der besten Hotels der Stadt war. Die Fahrstuhltür ging auf und er prüfte, ob die Etage ruhig und leer war, dann verließ er den Aufzug und ging den Flur entlang. Nun stand er direkt vor Zimmer 314. Ein letztes Mal vergewisserte er sich, dass alles passte. Seine Walther P99 hatte er geladen und entsichert im Hosenbund am Rücken. Riskant, aber wenn es brenzlig wird, muss jede Bewegung perfekt sein. Es gibt keinen Spielraum für Fehler. Er zog die Maske auf und klopfte mit einer geschätzten Lautstärke, von der er sich sicher sein konnte, dass man sie maximal im selben Raum hören würde. Er war sich nur nicht sicher, ob beide Personen im Raum waren. Er durfte keine Aufmerksamkeit erregen. Wenn seine Schwester also die Tür aufmachen, oder sie sehen würde wie ihr Gorilla niedergeschlagen wird, hatte er ein Problem. Alles oder nichts, flüsterte er sich selbst zu. Die Tür ging auf und er hörte eine Männerstimme. Kurze Zeit später streckte der Kerl den Kopf wie vorhergesehen in den Flur und bekam direkt einen Schlag an die Halsschlagader. Noch während dieser zu Boden ging, fing Mike ihn auf und erwartete den weiblichen Schrei seiner Schwester, die alles mitangesehen hatte. Doch er blieb aus. Der Kerl war schwer, doch er schaffte es ihn im Raum abzulegen, der direkt hinter der Zimmertür lag. Er hörte laufendes Wasser – seine Schwester war wohl duschen. Dann knebelte er den Gorilla und fesselte seine Arme auf dem Rücken zusammen. Kaum zu glauben wie schwer Muskeln werden können. Leicht außer Atem begab sich Mike dann zur Badezimmertür. Er öffnete sie einen Spalt und sah wie seine Schwester duschte. Er sah ihren nackten Körper hinter der durch das heiße Wasser angelaufenen Verglasung. Keiner geht duschen und stürzt dann aus dem Fenster, dachte er sich. Eine zeitlang beobachtete Mike seine Schwester. Als er eine Bewegung hörte ging er zurück zum Eingang und tatsächlich war der Mistkerl wieder zu sich gekommen. Dieser riss die Augen auf als er den vermummten Einbrecher sah. Dann wurde alles wieder schwarz. Mike hatte ihn erneut ins Land der Träume geschickt. Diesmal mit etwas mehr Kraft. Doch nicht zu viel, sonst quetschte er die Schlagader zu stark als das sie noch Sauerstoff ins Hirn transportieren konnte. In diesem Moment hörte Mike wie das Wasser im Bad abgestellt wurde. Er wartete in der Nähe der Badezimmertür und schlug in dem Moment zu als seine Schwester herauskam. Sie hatte nicht einmal die Chance auch nur annähernd zu reagieren. Dann ging er ins Schlafzimmer und suchte ein paar Kleidungsstücke aus. Er wollte nicht, dass man seine Schwester nackt auf dem Gehsteig fand. Als er zurückkam, machte er einen Zwischenstopp im Badezimmer. Dort holte er das Deo. Keine Rückschlüsse auf Dritte!, ermahnte er sich selbst.
Mike saß auf dem Sofa und überlegte kurz. Dann stand er auf, ging an den Kühlschrank und holte einen Saft heraus. Er öffnete den Beutel und kippte eine ordentliche Menge des Rattengiftes rein. Das Gemisch schäumte leicht, beruhigte sich aber schnell wieder. Er schloss den Beutel und schüttelte nochmal gut. Dann ging er zu dem Gorilla, der immer noch weggetreten war und flößte ihm den tödlichen Cocktail ein. Anschließend sorgte er dafür, dass die Fingerabdrücke seiner Schwester an allem zu finden waren was er angefasst hatte. Er selbst hinterließ nie welche. Dünne Lederhandschuhe helfen dabei ganz wunderbar. Er versteckte alles in der Küche und ging erneut zu dem Haufen Muskeln, der sich innerlich wohl schon zu zersetzen begann. Er zog ihn in Richtung des Fensters, sodass er ohne Probleme das kleine Zeitfenster zwischen dem Mord an seiner Schwester und dem anschließenden Sturz des Gorillas aufgrund von Gleichgewichtsverlust füllen konnte. Seine Schwester war zwischenzeitlich wach geworden und brauchte einen Moment, um die Situation zu verstehen. Dann riss sie die Augen auf und Tränen quollen ihr aus den Augen als Mike, noch immer vermummt, auf sie zukam. Sie verstand die Situation und die verschwindend geringe Wahrscheinlichkeit heil hierbei herauszukommen. Mike kniete sich zu ihr nieder. Sie lag auf dem Bauch. Er blickte ihr in die Augen. Dann sagte er mit ruhiger Stimme: Hallo Schwesterherz! Kennst du mich noch?, sie riss die Augen noch weiter auf und versuchte etwas zu sagen. Doch Mike beließ den Knebel wo er war. Er konnte kein Risiko eingehen. Wenn sie nach Hilfe rief war alles vergebens. Erst kurz vor ihrem Ableben sollte sie das sagen was er wollte. Und das würde sie mit Sicherheit tun. Sie wusste nun wer ihr Mörder sein würde. Statt Hilferufe werden Fragen nach dem Warum kommen. Generell interessierte es ihn sowieso nicht was sie zu sagen hatte. Er streichelte ihr beruhigend über den Kopf und zog sie in Richtung des Fensters. Sie wehrte sich heftig, jedoch vergebens. Mike öffnete das Fenster, hob ihren Stecher hoch und drapierte ihn so, dass er ihn nur noch mit geringem Kraftaufwand in Richtung Boden bugsieren musste, hob seine Schwester hoch und blickte ihr ein letztes Mal in die Augen. Ihre Angst musste unermesslich gewesen sein. Und ein Warum zeichnete sich in ihren Augen ab. Er wandte den Blick von ihr ab, löste die Fesseln und nahm ihr dann den Knebel aus dem Mund. Sie schrie kurz, fragte unter Tränen nach dem Warum, dann versetzte er ihr erneut denselben Schlag wie bereits ihrem Gorilla zwei Mal und ihr selbst beim Herauskommen aus dem Badezimmer. Die Fesseln würden keine Striemen oder Blutergüsse hinterlassen, da sie eine Spezialanfertigung waren. Für das entsprechende Geld bekommt man alles – auf dem Schwarzmarkt sowieso. Er hob ihren leblosen Körper durch das Fenster und hielt einen ganz kurzen Moment inne. Dann ließ er sie fallen. Schließlich nahm er die Fesseln und den Knebel ihres noch immer bewusstlosen Kerls ab, zählte bis sieben und stieß ihn hinterher. Ohne Umschweife verließ er das Hotelzimmer und versteckte die Maske in seiner Jacke. Er begab sich zurück zum Aufzug und drückte den Knopf ins Erdgeschoss. Er wunderte sich warum nach wie vor nicht ein Angestellter zu sehen war, doch begrüßte er diesen Umstand. Im Erdgeschoss angekommen ging es genauso geschäftig wie bei seiner Ankunft zu. Er verließ das Hotel und machte sich auf den Weg nach Hause. Er blickte nicht zurück. Ein schneller Blick auf das Handy verriet ihm, dass der Job nun als erledigt galt.
Er blickte auf und war sich bewusst, dass er der letzte seiner Familie war. Familie, dachte er. Dann holte er seine Schachtel Zigaretten hervor, zündete sich einen Sargnagel an und verschwand in der Menge. Ashes wartete zu Hause.
contract murder business education
29
11
Max war seit seiner Geburt blind. Er betrachtete das Farbenspiel vor seinen Augen. Er konnte es nicht glauben. All diese Farben, die er zum ersten Mal in seinem Leben sah. Die Warnung des Chirurgen hatte er schon wieder vergessen.
Keiner weiß was damals passiert ist. Manche behaupten, dass wir außerirdisches Leben zu Besuch hatten. Andere waren der Auffassung, dass es durch Menschenhand geschehen ist. Nicht das erste Mal, dass der Mensch versucht Gott zu spielen. Und wieder andere, die dann die klassische Theorie vertraten, dass das Ende aller Tage gekommen war und Gott nicht länger mit ansehen konnte was auf diesem Fleckchen Erde geschah. Es gab jedoch keinerlei Beweise was wirklich vorgefallen ist. Fakt ist jedoch, dass viele plötzlich verschwunden waren. Ohne jegliche Spur. So als hätten sie nie existiert.
Keiner derer, die damals verloren gegangen sind, ist je wieder aufgetaucht. Verloren gegangen war die Bezeichnung vieler, die übrig geblieben waren. Nur ein grelles Licht, dass überall auf der Welt zu sehen war. Danach Stille. All die geschäftigen Geräusche verstummten. Jene, die zu diesem Zeitpunkt unter Tage waren oder ohne Augenlicht lebten, blieben nun auf diesem plötzlich leeren Planeten zurück. Doch ausschließlich negativ war dies nicht. Auch wenn keiner es wirklich zugeben wollte, so hat sich seither einiges zum Besseren gewandt. Die wenigen Menschen schlossen sich zusammen und verschrieben sich der Erforschung dieses Phänomens. Seither sind 23 Jahre vergangen. Wenngleich sie keine wirklich nennenswerten Ergebnisse vorbringen konnten, so hatte es doch den vielleicht sogar wertvollen Nebeneffekt der Weiterentwicklung von Technik, den diese Forschung mit sich brachte. Immer neue Möglichkeiten, hervorgebracht durch Genies ihrer Zeit, ermöglichten zwar nicht die erhofften Resultate, doch waren deren Einsatzmöglichkeiten auch anderweitig verwendbar. Ein Meilenstein in der Forschung war die Cybernetik. Und so entstand quasi der Beruf der Chirurgen. Genies, die Mensch und Maschine miteinander zu verknüpfen wussten.
Und so kam Max zu seinem Augenlicht. Dieser Chirurg war gleichermaßen für sein Genie aber auch für seinen Wahnsinn bekannt. Er wirkte zwielichtig, doch strahlte er eine innere Ruhe aus. Nicht der Typ Mensch, der einem Angst einflößt. Max hatte nun cybernetische Augen und sah Farben, die nicht einmal das menschliche Auge einfangen konnte. Doch der Chirurg warnte ihn davor, dass manche Dinge besser nicht gesehen werden sollten. Er sprach von der Büchse der Pandora und dass man sie besser nicht öffnen sollte. Generell wirkte es so als wisse er deutlich mehr als er je preisgab. Sprach er oft in Rätseln? Max wusste es nicht. Er war damals gerade mal drei Jahre alt. Dieser Umstand und die Tatsache, dass das Bildungssystem, wenn man es denn so nennen konnte, eher auf naturwissenschaftlichen Fakten aufgebaut war, sorgten dafür, dass er beispielsweise nicht wusste wer Pandora war und warum er ihre Büchse öffnen sollte.
Dieser Chirurg, ein alter Mann, der wohl mittlerweile 60 Jahre alt sein musste, war einer der wenigen Menschen, die für sich alleine erforschten. Er sagte oft, dass viele Köche den Brei verderben, was Max ebenso wenig verstand. Und er sprach nie über seine Ergebnisse. Doch hatte er sich über die Jahre hinweg verändert. Nicht körperlich in Form von cybernetischen Modifikationen, sondern vielmehr so als wäre alles weitere belanglos geworden.
Max bedankte sich, übergab ihm wie abgemacht den Fusel, den der alte Mann wollte und ging seiner Wege. Er konnte noch immer nicht das prächtige Farbenspiel fassen, das sich vor seinen neuen Augen abspielte. Auch wenn die Operation erst eine halbe Stunde her war, waren die Schmerzen relativ erträglich. Der alte Mann hatte ihm deutlich gemacht, dass jegliche Medikamente solange tabu seien, bis sich die künstlichen Rezeptoren seiner cybernetischen Optik an die biologischen Funktionen seines Körpers angepasst haben. Auch das Farbspektrum würde sich nach unten regulieren. Medikamente würden den gegenteiligen Effekt haben. Der Sinn dahinter war aber, dass er wieder wie ein Mensch würde sehen können. Da Max sich aber gänzlich dem Moment hingeben wollte, ignorierte er die Warnung des Alten und warf sich zwei Recurbin ein. Er lächelte. Er war gespannt was er noch alles sehen würde. Das Recurbin zeigte direkt Wirkung und die Schmerzen verschwanden vollständig. Moderne Medizin, dachte er sich.
Erst war er sich nicht sicher, doch dann sah er sie: Schemenhafte Gestalten irrten ziellos umher. Sie waren wie dunkle Nebelschleier. Max erstarrte und wagte keine weitere Bewegung. Er blinzelte drei mal, schloss die Augen, zählte bis fünf und öffnete sie wieder. Der Alte hatte ihm gesagt, dass er das System seiner cybernetischen Optik neu starten lassen konnte. Dies war nützlich, wenn er eine Fehlfunktion bemerkte, was eigentlich nicht vorkommen sollte. Doch es änderte nichts. Diese Gestalten waren immer noch zu sehen. Sie bewegten sich wie normale Menschen, die einer Tätigkeit oder einem Ziel nachgingen. Sie schienen ihn zu ignorieren, doch dann bemerkte er die Gestalt eines kleinen Mädchens, das neben ihm stand. Die Gestalt schien zu ihm aufzublicken. Er hatte Angst. Er wusste nicht was er tun sollte. Bewegen konnte er sich seltsamerweise auch nicht. War er paralysiert? Oder lag es an der kleinen Gestalt neben ihm? Sie streckte etwas nach ihm aus, dass wie ein Arm aussah und berührte ihn am Oberschenkel. Er hatte Angst. Plötzlich spürte er Kälte am ganzen Körper. Max fühlte sich plötzlich erfüllt von Trauer. Eine Art Trauer, die einen bitteren Beigeschmack von Vorahnung zurückließ. Nun hatten ihn auch die anderen Gestalten bemerkt und gingen langsam aber bestimmt auf ihn zu.
Max brach zusammen. Sein Verstand konnte nicht begreifen was hier vor sich ging. Wer waren diese Gestalten und was wollten sie? Warum vermittelte ihm die kleine Gestalt neben ihm das Gefühl von Kälte? Dann hörte er eine Stimme hinter sich. Es war die Stimme des Alten. Du hast sie gesehen, oder? Max nickte ungläubig. Das sind all jene, die damals verloren gegangen sind., sprach er mit beruhigender Stimme. Max wandte die Augen nicht von der kleinen Gestalt ab und doch wusste der Alte, dass ihm dennoch seine gesamte Aufmerksamkeit galt. Genau genommen sind sie niemals verschwunden. Sie sind noch immer hier. Wir nehmen sie nur als Schatten wahr., erklärte er. Max Blick wanderte zu dem Alten. Er stand da und überblickte die Szenerie in einer Art und Weise als würde man etwas Vertrautes beobachten. Die Menscheit stirbt aus, Max., sagte er während er in die Leere starrte. Du wirst alles verstehen. Wir sehen uns hoffentlich bald wieder, rief er Max zu. Noch bevor dieser reagieren konnte, wurde alles um ihn herum schwarz. Das war ihm vertraut. Doch das piepsende Fehlergeräusch der Brille, die er aufhatte, war ihm gänzlich neu. Dann traf er dumpf auf dem Boden auf.
Aufwachen, Schlafmütze!, hörte er eine Stimme sagen. Er schlug die Augen auf. Haben wir dich endlich wieder? Er verstand nicht. Zu Hause, mein Sohn. Du bist eingeschlafen während du die VR Brille aufhattest. Du sollst doch besser aufpassen. Nicht, dass du noch den Bezug zur Realität verlierst witzelte seine Mutter und lief aus seinem Zimmer. Erleichtert blickte er sich um. War das wirklich sein Zimmer? Er ging zum Fenster und schaute hinaus. Es war alles wohl wie immer. Sein Erinnerungsvermögen ließ ihn größtenteils im Stich. Er konnte sich an nichts erinnern. Wie lange hatte er die VR Brille auf? Hinter sich hörte er eine weibliche Stimme: Du gehörst hier nicht her!, doch als er sich umdrehte war niemand zu sehen.
eyes technology paranormal
10
5
Er muss wohl wieder während der Arbeit eingeschlafen sein. Er rappelte sich auf und sah sich um. Ihm stockte der Atem. Sein Labor war verwüstet und überall blutige Spuren. Er spürte die Adrenalinausschüttung seines Körpers und seine Sinne schärften sich. Jeder Muskel war angespannt und er machte sich auf alles gefasst. Dann sah er sie.
Seine Arbeitskollegin Caitlyn lag um die Ecke des Labortresens und nur ihr linker Arm, sowie ihr oberer Kopfbereich waren von dem Winkel aus zu sehen wo er stand. Ihre Augen geschlossen, doch ihr Gesicht war ihm zugewandt. Er rief nach ihr. Zuerst ängstlich, dann eher besorgt und fast schon mutig. Nachdem keinerlei Reaktion kam, ging er auf sie zu und wäre beim Anblick fast ohnmächtig geworden: Lediglich ihr oberer Schulterbereich samt Hals und Kopf waren an einem Stück. Andere Teile ihres Körpers waren nicht mehr zu erkennen. Ihr rechter Arm war nur noch ab dem oberen Ellenbereich vorhanden. Ihm wurde schlecht und er übergab sich noch direkt neben ihr. Beim Abwischen an seinem Laborkittel fiel ihm auf, dass er total blutverschmiert war und erst jetzt bemerkte er die Wunde an seinem linken Handgelenk. Dem getrockneten Blut nach zu urteilen war sie wohl schon mehrere Stunden alt.
Gerade als er sich wieder halbwegs gefangen hatte, hörte er es. Ein kaum merkliches Seufzen aus der Richtung, in der Caitlyn lag, oder das was von ihr übrig war. Er ging auf sie zu. Diesmal fast ohne Scheu. Aber dann fiel es ihm auf: ihre Augen waren geöffnet. Die einst leuchtend grüne Farbe ihrer Iris, die ihn jedes mal in den Bann zog, wenn sie ihn anschaute war nun milchig trüb verfärbt. Er erschrak so sehr, dass er beim hastigen Versuch Distanz zu ihr zu gewinnen auf seinem eigenen Erbrochenen ausrutschte und sich den Kopf stieß. Dann wurde alles schwarz.
Als er wieder zu sich kam fühlte sich sein Körper dumpf und taub an. Er fühlte sich surreal und generell wie nach einem schlechten Traum. Sein Körper gehorchte ihm nur bedingt und einen klaren Gedanken fassen war nahezu unmöglich. Er stand auf und blickte an die Stelle an der Caitlyn gelegen hatte. Ihre Augen waren geschlossen. Hatte er geträumt? Er war sich sicher, dass sie vorhin einen Laut von sich gab und ihre Augen plötzlich geöffnet waren. Egal. Er musste sich sortieren und Hilfe holen. Er ging – noch recht wackelig auf den Beinen – auf die Sprechanlage zu, die schräg links von ihm am Laboreingang verbaut war. Gottseidank musste er nicht an ihr vorbei. Das Licht flackerte. Seltsam. Die Röhren wurden erst getauscht. Warum war ihm dies vorher nicht aufgefallen? Die Sprechanlage gab keinen Ton von sich und auch die Zugangssteuerung schien keinen Saft mehr zu haben. Er war hier eingesperrt.
Sie werden mich schon finden, schoss es ihm durch den Kopf. Seither sind weitere vier Stunden vergangen und die Hilferufe brachten auch nichts, da er keinen Ton herausbrachte. Diesen Fakt führte er darauf zurück, dass er dehydriert sein musste. Denn sein Mund fühlte sich so trocken wie noch nie an. Er hatte Hunger. Und er wunderte sich warum keine Menschenseele hier zu sein schien. Zugegeben, es war fast unmöglich die genauen Gegebenheiten außerhalb des Labors auszumachen. Bauartbedingt wollte man möglichst auf Verglasung verzichten und stattdessen auf Laborinterne Sicherheitskameras bauen. Die Sicherheitskameras!, kam ihm die Erkenntnis. Doch ein kurzer Check verriet ihm, dass auch diese offline waren. Normalerweise blinkt im 5 Sekunden-Takt ein rotes Licht neben dem Objektiv auf. Dies war nicht der Fall.
Wut stieg in ihm hoch. Er ging zum Laboreingang und hämmerte dagegen. Anfangs verzweifelt, dann immer härter und aggressiver. Die Tür bekam Dellen. Er hielt inne. Er wusste, dass die Wände, samt Tür aus 30cm dicken Titan gefertigt waren. Dieser Hunger machte ihn fertig. Diese Situation machte ihn fertig. Er schob jegliche Vernunft beiseite und hämmerte mit voller Kraft und aus tiefster Verzweiflung gegen die Tür, bis diese schließlich nachgab und völlig verbeult nach Außen zu Boden fiel. Das Geräusch war so laut, dass irgendjemand es definitiv hören musste. Doch die Antwort, die ihm kurz darauf in die Ohren drang, gefiel ihm gar nicht: geplagtes Stöhnen arbeitete sich durch die Gänge des Komplexes. Doch er wusste, dass er hier nicht bleiben konnte. Gerade als er genug Mut hatte, um die Ecke des Ganges zu schauen, fiel ihm die Wunde an seiner linken Hand ein. Ihm wurde ganz anders als er das abgestorbene Gewebe im Zentrum der Wunde und die sich ringsum dunkel verfärbten Äderchen sah. Er würde die Hand sicher verlieren. Medizinische Versorgung hätte er vor Stunden gebraucht. Seltsam war nur, dass er keinerlei Schmerzen verspürte. Dann fasste er sich an die Kopfwunde, die er sich beim Stolpern vorhin zugezogen hatte und schaute verwundert seine Finger an, wo er Blut erwartete: eine schwarze zähflüssige Masse klebte an seinen Fingern. Ungläubig stand er da und schaute ihr zu wie sie langsam auf den Boden tropfte. Was geht hier vor? Wie lange war er überhaupt schon hier unten? Seine Gedanken schienen abzudriften, als er sich erneut dem unbekannten Stöhnen besann.
Er beschloss alles beiseite zu schieben. Er muss Hilfe holen. Es wird sich alles klären, redete er sich wieder und wieder ein. Wie ein Mantra, dass dem Fokus auf wichtige Dinge dient. Sein Hunger war inzwischen beinahe unerträglich geworden. Alles oder nichts, dachte er sich und ging ohne zu zögern um die Ecke und den unerwartet sauberen Gang entlang – dem Stöhnen entgegen. Sein Verstand schien erneut abzudriften. Alles in seinem Kopf drehte sich um den Hunger. In einem kurzen Moment der Klarheit kam ihm der Gedanke, in der Sicherheitszentrale nach Hinweisen zu suchen. Er wollte wissen was vorgefallen war. Seltsamerweise konnte es sich an nichts vor dem Aufwachen an seinem Arbeitsplatz im Labor, das er verlassen hatte, erinnern.
Hierfür musste er allerdings geradewegs dem Stöhnen entgegenlaufen. Alles oder nichts, rief er sich erneut ins Gedächtnis. Er schaute an sich herunter und wunderte sich wirklich was mit ihm vorgefallen sein mag. Hinterfragte die Situation allgemein. Er wusste, dass etwas schlimmes passiert sein musste und er fragte sich kurz, ob er wirklich die Antworten auf seine Fragen finden wollte. Ab diesem Moment funktionierte er nur noch und so setzte er sich erneut in Bewegung. Gefühlt wurde das Stöhnen mit jedem Schritt lauter. Und mit jedem Schritt war er sich weniger sicher, ob es ein Stöhnen war oder er seinen Namen in den Lauten aus der Ferne vernahm. Er war sich jedoch sicher, dass es das nicht wirklich besser machen würde, sollte dem so sein.
Er stand nun vor dem Raum aus dem er das Stöhnen vernahm. Es mussten Dutzende sein. Alle riefen seinen Namen. Die Tür war nicht geschlossen, bot aber gerade so viel Einsicht, dass man in etwa erahnen konnte was darin vor sich ging. Er erspähte einen Mann, der seinen Einsichtsbereich kreuzte. Es war ein Kollege. Ein weiterer blutverschmierter Laborkittel. Er wankte ziellos durch den Raum und stöhnte tatsächlich seinen Namen. Er hatte Angst die Tür zu öffnen, doch er wusste, dass er durch diesen Raum musste, um zur Sicherheitszentrale zu gelangen. Um Antworten zu finden. Er zögerte. Dann nahm er all seinen Mut zusammen und stieß die Tür auf.
Er konnte es nicht glauben. Sie trotzten jeglicher Vernunft. Seine Kollegen. So stark verletzt, dass sie eigentlich nicht mehr am Leben sein konnten. Und doch irrten sie vor seinen Augen umher und stimmten einen perfiden Kanon an. Sie waren sich seiner Anwesenheit bewusst und dennoch ließen sie ihn in Ruhe. Doch viele standen fast schon erwartungsvoll vor ihm. Er glaubte den Verstand zu verlieren. Er befand sich im Lobbybereich des Komplexes. Voller wandelnder Leichnahme. Plötzlich kam einer von ihnen auf ihn zu. Er hielt etwas in der Hand. Es war nicht wirklich ersichtlich, sah aber aus wie ein herausgerissenes Stück Fleisch einer dritten Person. Vor ihm blieb er stehen. Mit den unbeholfenen Fähigkeiten eines Säuglings versuchte der Leichnahm seinen Arm zu heben. Er wirkte als wolle er ihm das Stück Fleisch reichen. Der Hunger quälte ihn mittlerweile regelrecht. Der Leichnahm sah ihn mit seinen milchig trüben Augen an und schien darauf zu warten, dass man ihm das was auch immer es gewesen sein musste aus der Hand nahm. Er nahm ihm den Fleischbrocken aus der Hand und betrachtete ihn. Etwas in ihm schien ihn zu beruhigen und gab ihm zu verstehen, dass es in Ordnung sei. Danach wird es dir besser gehen, hörte er eine Stimme in seinem Kopf sagen.
Es wirkte als würde er die Stimme des Untoten, der vor ihm stand, direkt in seinem Kopf hören. Er sah ihn an. Ihm fehlte ein beträchtlicher Teil seiner rechten Gesichtshälfte. Und so entstellt sie auch aussahen, schien von ihnen keinerlei Gefahr auszugehen. Zumindest waren sie ungefährlich für ihn. Er überwand sich in das ihm geschenkte, leicht gräulich verfärbte Fleisch zu beißen. Kurz dachte er, dass er sich erneut übergeben muss, aber wider erwarten schmeckte das Fleisch doch weitaus besser als man sich hätte vorstellen können. Er spürte ab dem ersten Bissen, dass der Hunger weniger wurde. Und mehr noch: es schien ihm Kraft zu spenden. Der Untote vor ihm hatte mittlerweile kehrt gemacht und wankte zurück zu seinesgleichen.
Diese ganze Situation war nicht mit Vernunft und Logik zu erklären. Zumindest schien es so. Und dennoch – als Mann der Wissenschaft – musste es einen Grund, eine rationale Erklärung und eine Ursache für all das hier geben. Er ging geradewegs in die Sicherheitszentrale während ihm sein Gefolge nachschaute. Ein paar davon machten Anstalten ihm hinterher zu torkeln, doch ließen es dann aber bleiben. Die Zentrale war ein Hightech Überwachungszentrum und es war nicht einfach die Aufnahmen seines Labors ausfindig zu machen. Doch nach ungefähr einer halben Stunde wurde er fündig. Nervös begann er die Aufnahmen von vor 6 Stunden abzuspielen. Was sich da vor seinen Augen abspielte konnte er nicht glauben. Er sah Caitlyn. Sie arbeitete im Labor. Er war an seinem Arbeitsplatz und resequenzierte den neuen Impfstoff für das Projekt. Dann kam Ramone rein. Er verhielt sich seltsam. Die Art seiner Bewegung war unnatürlich. Er wirkte wie ein wildes Tier, nur träger. Dann bemerkte er ihn. Kurz darauf griff er ihn an und verletzte ihn am Handgelenk. Daher also die Wunde, dachte er sich als Caitlyn Bechergläser nach Ramone warf. Ramone ließ von ihm ab und wandte sich Caitlyn zu. Ihr war nicht mehr zu helfen. Ramone zerfleischte sie regelrecht und noch während er sich den ungetesteten Impfstoff injizierte musste er zusehen wie Caitlyn brutal getötet wurde. Er hörte nur noch wie der Sicherheitsalarm ausgelöst wurde und sah Ramone aus dem Labor stürmen. Dann legte sich die Dunkelheit über ihn.
Er stoppte die Aufnahme. Den Rest musste er nicht sehen. Er hatte alles ab da erlebt. Außerdem sind die Kameras kurz danach wohl sowieso offline gegangen. Er legte den Kopf in den Nacken und ließ alles Revue passieren. Er war infiziert. Doch schien er sich gleichzeitig von den anderen da draußen in der Lobby abzuheben. Er wusste, dass er ebenso einer von ihnen war, doch blieben seine höheren Gehirnfunktionen unbeeinträchtigt. Womöglich lag es an dem Impfstoff. Nun hatte er zwar Antworten aber surreal blieb diese verfahrene Situation dennoch. Noch bevor er seine weitere Vorgehensweise planen konnte, hörte er Schüsse von draußen. Das Stöhnen verstummte und kurz darauf ging die Tür zum Sicherheitsbereich auf. Kontakt!, hörte er den Soldaten rufen, bevor dieser einen Schuss abgab, der ihm durch das linke Auge ging. Schwarze Masse ergoss sich über die Überwachungsmonitore bevor sein Körper dumpf auf dem Boden aufkam. Bereich sauber!, meldete er letztlich und verließ den Raum.
lab experiment human
14
7
Ich weiß nicht mehr warum ich so geworden bin. War es verborgenes Verlangen, dass mich seit jeher heimsuchte oder einfach nur der Umstand, den der Umbruch mit sich brachte. Man wollte überleben – um jeden Preis.
Mein Name tut nichts zur Sache. Sie wurden mit dem Umbruch mehr und mehr vernachlässigt und gerieten irgendwann vollends in Vergessenheit. Auch so machte es – neben dem seltenen Umstand, dass sich diese Gelegenheit überhaupt ergab – wenig Sinn sich diese einzuprägen. Entweder du gehst anderen Überlebenden aus dem Weg, bringst sie direkt um, oder sie leben nicht lange genug, um diesen Brauch aus alten Tagen anzuwenden. Das Schlimme war das Chaos in Form von Bränden, Plünderungen und Gewalt. Ich war zu dieser Zeit noch ein Teenager, hatte eine liebende Familie und der Wunsch sich ein eigenes Leben aufzubauen sollte aufgrund eines glücklichen Umstandes kurze Zeit später wahr werden – doch weit gefehlt.
Der Umbruch machte uns allen einen Strich durch die Rechnung. Ich dachte, ich wäre vorbereitet. Wir lagen so falsch. Unterschätze niemals die Verzweiflung deines Gegenübers oder die Taten, die aus Angst entstehen. Mir wurde alles genommen. Meine Familie. Meine Freunde. Meine Liebe. So ging es wohl Vielen – ich bin da niemand, der aus der Menge hervorsticht. Doch ab diesem Zeitpunkt war ich nie mehr der, den man kannte. Mein Inneres wurde vollständig auf den Überlebensinstinkt reduziert. Meine Empathie verschwand. Ich wurde gelehrt niemandem zu vertrauen.
Recht und Ordnung war ein Relikt vergangener Tage und nun galt das Gesetz des Stärkeren. Anfangs mied ich jeglichen Kontakt. Die erste gewaltsame Konfrontation änderte das allerdings schnell. Hätte mein Gegenüber nicht gezögert, wäre meine Geschichte mit mir in der verbrannten Erde gestorben. Ich wäre nur ein weiterer Niemand, der irgendwann im Sand der Zeit vergessen würde. Stolz auf die Art und Weise als Sieger aus dieser Konfrontation hervorgegangen zu sein bin ich dennoch keineswegs. Tatsächlich zögerte dieser Niemand, der mir gegenüber stand lediglich aufgrund meines bitterlichen Weinens. Der Verlust von allem, was ich geliebt habe, war gerade einmal einige Stunden her. Und dieser Niemand, der da völlig geräuschlos hinter mir stand, war wohl nicht älter als 16.
Es sind schlimme Zeiten und anfangs rechtfertigte ich mein Handeln noch entsprechend. Ich muss überleben. Darf nicht darüber nachdenken. Gedanken, die man nur zu gut aus Filmen des entsprechenden Genres kannte. Filme waren ebenso ein Relikt aus grauer Vorzeit. Ich schweife ab. Da stand er also hinter mir und ich mit dem Rücken zu ihm in der Hocke während ich um das trauerte, was mir genommen wurde. Er warf einen Stein nach mir, sagte, ich solle mich umdrehen und ihm alles geben, was ich habe. Der Stein traf mich an der Schulter, doch der Schmerz blieb aus. Lag es am Schock? Ich weiß es nicht. Doch stand ich auf, drehte mich wortlos um und blickte ihn völlig ausdruckslos an. Mir fiel das Messer in seiner Hand auf: getrocknetes Blut. War es das Blut eines Einzelnen oder das mehrerer Opfer? Was kümmert es dich, flüsterte mir eine Stimme zu. Dies war das erste Mal, dass ich sie hörte.
Er sah den Verlust in meinen Augen, die Tränen und den Schmutz und hielt kurz inne. Dann wiederholte er sich mit demselben Tonfall. Er wirkte genauso unbekümmert wie zuvor. Ich rührte mich nicht. Ich stand vor ihm. Wir waren gut drei Meter voneinander entfernt. Er warf erneut einen Stein nach mir. Ich rührte mich noch immer nicht. Der Stein verfehlte sein Ziel. Dann griff er mich an. Ich heulte erneut los und er blieb einen Moment stehen. Gerade genug Zeit für mich, ihm den Stein an den Kopf zu werfen, den ich beim Aufstehen aufgehoben hatte und hinter mir versteckt hielt. Fairness gibt es nicht mehr! Ich war wohl besser im Treffen als er, denn er wurde hart an der linken Schläfe getroffen und ging direkt zu Boden. Ich näherte mich ihm und das dumpfe Gefühl in mir verstärkte sich. Hing es mit dieser Stimme zusammen? Ich stand über ihm, sein Messer in meiner Hand. Er blickte mich ängstlich an und versuchte wohl etwas zu sagen. Blut strömte aus der Wunde und man konnte das Pochen fast am eigenen Leib spüren. Er stand unter Schock. Er hatte Todesangst.
Ich hatte die Wahl: einfach gehen und ihn seinem Schicksal überlassen? Oder würde er Zeuge meiner Wut, meiner Trauer und allen bisher unterdrückten Gefühlen werden? Ich sollte der Stimme in mir freie Hand gewähren. Die Entscheidung fiel mir erschreckend leicht. Im nächsten Moment verließ ich den ausblutenden Körper des Jungen. Er hielt sich mit seinen Händen die Schnittwunde an seiner Kehle, die ihm sein Messer durch meine Hand zugefügt hatte, verzweifelt versuchend die Blutung zu stoppen. Vergeblich. Mit dir geht es zu Ende, Kleiner!, sprach die Stimme über meine Lippen zu dem Jungen.
Seitdem sind zwei Jahre vergangen und ich habe mit jedem Mal schlimmere Dinge getan. Den Standard, all dies für das bloße Überleben zu tun, habe ich zwischenzeitlich abgelegt. Ich habe meine Menschlichkeit aufgegeben, um mein Überleben zu sichern. Dafür ist die Stimme von damals mittlerweile ein ständiger Begleiter. Habe ich mich selbst verloren oder mich endlich gefunden? Diese Frage bleibt noch immer unbeantwortet. Nichts was ich tue oder nicht tue, scheint mir bei der Suche nach der Antwort zu helfen. Bin ich ein Monster? Mag sein. Habe ich viele getötet? Ja. Verschone ich mein Gegenüber? Nein. Denn wenn sie dich fürchten, lassen sie dich in Ruhe. Mittlerweile habe ich die Regeln verstanden. Oder gemacht. Wenn du an der Spitze der Nahrungskette stehst, so hast du keine Feinde mehr.
Doch ein alter Teil meiner selbst lässt sich nicht töten. Und so kommt es manchmal vor, dass sich Fragmente vom Leben, das ich einst gelebt habe, vor meinem inneren Augen aufblitzen. Doch bevor ich sie greifen kann verschwinden sie. Lichtblicke der Vergangenheit, in denen mein Verstand all das, was mir genommen wurde, Revue passieren lässt. Es gibt keine Hoffnung. Für niemanden von uns. Endgame.
raider wasteland dystopia night
19
6
Ich bin Don und habe seit kurzem das Faible für Kurzgeschichten entdeckt.
Besonderes Interesse gilt dabei allem was düster, brutal und eher perfide ist.
Meine Geschichten sind oftmals so geschrieben, dass sie euch als Leser dazu animieren sollen
eure Fantasie spielen zu lassen. Jede Geschichte hat ihren Sinn - auch wenn das Ende oft das
Gegenteil vermuten lässt.
Entsprechend ist die Thematik meiner Kurzgeschichten. Wenn euch was davon gefällt,
würde ich mich echt freuen, wenn ich mal kurz auf das
klickt. Motiviert ungemein!
Ansonsten viel Spaß beim Lesen!